Zeit für zärtlich – meine Ode an den zu Unrecht verpönten Blümchensex!

Wann ist der gute, alte Blümchensex eigentlich so in Verruf geraten?

Ich spreche, wer hätte das gedacht, in meinem privaten Umfeld sehr viel über Sex. Aus beruflichen Gründen, aber auch, weil ich von Neugierde getrieben bin, erfahren möchte, wie andere ihre Intimität (aus)leben. Meistens stoße ich hierbei auch auf große Offenheit. Droppe ich aber den Begriff „Blümchensex“, löst das in meinem Gegenüber irgendwie automatisch komische Blicke und verzogene Mundwinkel aus. Als hätte sich die Gesellschaft eines Tages in der Vergangenheit still darauf geeinigt, dass das etwas sei, das man einfach nicht zu mögen hat.

Warum? Ich wage die Annahme, dass er gleichgesetzt wird mit 0815-er-oben-sie-unten-Sex. Mit stumpfem, langsamem Rein-Raus, von dem keiner der Beteiligten besonders viel hat. Am besten noch Licht aus und Decke drüber. Und soll ich euch was sagen? In meinen Augen wird dem Blümchensex viel, viel zu wenig Tribut gezollt. Hier also meine Ode an ihn. Möge er hochleben. 😉

Immer höher, weiter, schneller, doller – auch im Bett?
Muss nicht (immer), finde ich!

No News, dass unsere Generation meisterhaft darin ist, sich gegenseitig immer wieder selbst zu überbieten. Wenige können sich vom ständigen Vergleich mit anderen freisprechen, fast jeder von uns schaut hin und wieder nach rechts und links – manche nehmen sich das mehr zu Herzen, andere weniger. Fakt ist aber: Wer nicht raussticht, läuft Gefahr, als toter Fisch im Strohm unterzugehen. Und das will ja schließlich niemand, wa? Also wird die „Höher, weiter, schneller, doller“-Mentalität auch mit ins Schlafzimmer genommen. Alles andere wäre, um es in Millennial-Sprache zu sagen: lame, boring, oh-so-unexciting, so yesterday. Wer kann den Freundinnen oder Kumpels die heftigere Story erzählen? Wer hat das Krassere erlebt? Wer ist der größte Freak im Bett?

Bevor wir richtig starten, an dieser Stelle einmal kurz ein Disclaimer: Experimentierfreude im Bett ist absolut toll und wichtig. Ich liebe es, zu hören, wenn Leute sich ausprobieren und ihre Sexualität in all ihren Facetten erkunden. Einmal jede Ecke der Wohnung durchvögeln, sich in der Öffentlichkeit erwischen lassen, im Kino viel zu laut aneinander rumfummeln, sich den Hintern grün und blau schlagen lassen, Spielzeuge einbinden, sich oder den anderen fesseln, mit Dominanz und Unterwerfung spielen… all das ist wunderbar. Und auch mir steht die meiste Zeit eher der Sinn danach, mich meinem Sexpartner voll und ganz hinzugeben und mich dominieren zu lassen, die Kontrolle völlig abzugeben, meine Grenzen auszutesten. Weil es wenige Gefühle gibt, die besser sind, als sich danach völlig erschöpft, zitternd, mit leichten Rötungen und der ein oder anderen Bissspur auf das Laken fallen zu lassen und sich nach einer Submission-Session von seinem Sexpartner in den Arm nehmen zu lassen.

„Hit me Baby one more time“ vs. „Killing me softly“

Ich finde es wird mal wieder Zeit für zärtlich! Back to the good old roots. Weil Blümchensex einfach mal so gar nicht langweilig ist – im Gegenteil, in meinen Augen ist Blümchensex nämlich die Königsklasse aller Intimität. Nicht jeder kann das, weil nicht jeder mutig genug dafür ist, wage ich zu behaupten. Vanilla Sexwie es im Englischen so schön heißt, ist so viel mehr als unbeteiligtes Rein-Raus. Wenn es etwas gibt, das einhundertprozentige Beteiligung erfordert, dann genau das. Sich von einer anderen Person körperlich dominieren zu lassen, erfordert viel Vertrauen – vor allem wenn das Gegenüber wie in meinem Fall als heterosexuelle Frau körperlich deutlich überlegen ist –, keine Frage. Man muss sich sicher sein, sicher zu sein. Sich beim Sex aber nicht nur körperlich nackt zu machen, sondern auch emotional, das erfordert mindestens genau so viel Vertrauen. Und Mut. Weil man dem anderen hier erlauben muss, tief in einen hinein blicken zu lassen.

Was bedeutet das in der Praxis? In allererster Linie bedeutet das, Sex nicht zu haben, um ihn zu haben, sondern um seinen Partner und sich ganz genau zu spüren. Sich innig zu küssen, langsam zu entblättern und nicht alle Kleidungsstücke in einem Wisch vom Körper zu reißen. Behutsam die Finger über den Körper des anderen gleiten zu lassen und dabei seinen Gesichtsausdruck zu beobachten. Wie verändert sich das Gesicht des Partners bei der jeweiligen Berührung?

Die fünf Sinne mal wieder ganz auskosten – der Weg ist das Ziel

Riechen, Schmecken, Sehen, Hören, Fühlen – all das hat uns der liebe Gott zur Verfügung gestellt. Warum vernachlässigen wir manches davon beim Sex? Genau darüber habe ich auch mit Anja Drews gesprochen. Die 50-Jährige ist Sexualtherapeutin mit 25-jähriger Erfahrung, Coachin und Hypnose-Spezialistin aus Hamburg. Kommen Menschen nicht, kommen sie zu ihr. 

„Sex der Superlative, wie er von unserer Leistungsgesellschaft oft angestrebt wird, ist kein dauerhaft haltbarer Zustand. Blümchensex hat leider heute einen verstaubten Ruf. Zu Unrecht! Man denkt dabei an stumpfes Küssen-Fummeln-Reinstecken, und das will natürlich niemand. Beim richtigen Vanilla Sex geht’s nicht um den großen Kick, sondern um das Gefühl von Verbundenheit. Viele vergessen, dass auch der Weg das Ziel sein kann. Wer nur akribisch auf den Orgasmus hinsteuert, der kann auch mit Vollgas auf der Autobahn von hier nach Timmendorf fahren, einmal kurz ins Wasser springen und wieder nach Hause gehen. Durch diese Zielorientierung und das ständige Streben nach ‚Effizienz‘ können wir unser Sexleben massiv einschränken. Achtsamkeit muss zurückkehren.“  

Das heißt, dass man beim Sex eben auch mal in sich geht, ganz genau darauf achtet, was einem selbst gefällt – und auch hier spreche ich ein wichtiges Thema an, denn viele von uns – vor allem Frauen – richten ihre Sexualität häufig danach aus, was dem Partner denn gefallen könnte und vernachlässigen in dieser „Hektik“ ihre eigenen fünf Sinne, sind nicht mehr im Hier und Jetzt, sondern in der Zukunft. Es gibt wenige Frauen, die den Orgasmus wirklich für sich erreichen wollen, wie mir Anja Drews auch bestätigt:

„Viele Frauen streben einen Höhepunkt nur deshalb an, um IHM das Gefühl zu geben, alles richtig zu machen. Deshalb sagen die meisten Männer dann: ‚Also, ich bekomme jede Frau zum Höhepunkt.‘ Wenn die wüssten! Eigentlich schulden wir Frauen uns gegenseitig gute Liebhaber und sollten deshalb wirklich mal kommunizieren, was wir wirklich wollen, um Männer nicht in ihrem Irrglauben zu lassen.“

Ein gesunder (Achtung, jetzt kommt ein allseits verpöntes Wort) Egoismus im Bett ist also nicht nur richtig, sondern auch wichtig. Erst dann, wenn ich mich selbst fallen lasse und mich in meiner eigenen Lust verliere – ohne rücksichtslos zu sein – kann Magie in uns stattfinden und auf diese Reise können wir unseren Partner dann auch mitnehmen. Es entsteht ein gegenseitiges Wechselspiel. Was ist sexier, als jemanden dabei zu beobachten, der gerade zu 100% angeturnt ist?

Wie kriegen wir wieder mehr Achtsamkeit ins Schlafzimmer?

„Es gibt so viele verschiedene Arten Sex und Menschen haben immer gewisse Neigungen. Manche gehen in die härtere Richtung, andere in die softere. Wer einen Partner hat, der vorrangig auf BDSM steht, der kann ein Kompromiss vorschlagen: ein Tag nach meinem Gusto, der nächste Tag nach deinem. Wenn er sich dann querstellt, sollte man sich erstmal fragen, ob das überhaupt der richtige Partner ist. Ist er aber bereit dazu, empfehle ich zum Beispiel – und auch das ist ziemlich verrufen – eine Ganzkörperberührung und dann den eigenen Impulsen zu folgen, einfach zu machen, was einem selbst gefällt und dann zu schauen, wohin es einen führt. Es soll hier nicht um Leistung gehen, sondern nur darum, den eigenen Körper wahrzunehmen.“

Um hier nochmal auf das Stichwort „Leistung“ einzugehen: Gerade WEIL wir davon Tag für Tag so getrieben sind, sollten wir alle uns ab und zu also mal wieder besinnen, im wahrsten Wortsinn, und uns Zeit für echte Intimität nehmen. Ständig haben wir einen vollen Terminkalender. Wir arbeiten, machen danach noch Sport, haben andere Verpflichtungen und schieben Sex 5 Minuten vor dem Augenschließen oft noch als „Pflicht“ in unseren Alltag ein. „Doch Sex befriedigt so viele verschiedene Bedürfnisse. Lust ist nur eines davon. Sich verbinden, Nähe, sich begehrt fühlen sind zum Beispiel weitere. Wenn man aufhört, Sex als Lifestyle oder als To-Do zu sehen und sich stattdessen dadurch beim Partner mal wieder neu ‚verortet‘, kann die Freude daran ganz neu entfachen, und das ist gerade in diesen Zeiten wichtig“, so Drews.

„In diesen Zeiten“, ja, das hässliche C-Wort. Corona. Genau jetzt, wo doch alles um uns herum irgendwie im Chaos ausgeartet ist und an unseren Nerven zehrt, ist es wichtiger denn je, sich um eine gesunde Basis mit sich selbst und dem Partner zu kümmern. Vielleicht mit einer guten Partie Blümchensex. Keiner sagt übrigens, dass wir alle nun gänzlich zu Softies mutieren sollten – Vielseitigkeit ist das Stichwort. In der Abwechslung liegt der Zauber. Samstag den Hintern versohlen lassen, Sonntag ganz viel Blickkontakt, ganz viel Hingabe, ganz viel Entschleunigung und einfach mal wieder runter vom Gaspedal.

Zeit für zärtlich, ihr Lieben. Liebt euch! Blümchensex ist großartig. 

 

Credits: Pexels, Unsplash, Giphy

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