Ein Brief an alle, die unter Narzisst:innen und psychischem Missbrauch leiden

Liebe:r Betroffene:r narzisstischem Missbrauchs,

bevor ich starte, ganz kurz: Ich bin keinerlei Expertin oder Ärztin oder sonst irgendetwas in der Art. Ich bin jedoch ebenfalls betroffen und möchte hier die ein oder andere Erfahrung oder Erkenntnis mit dir teilen, in der Hoffnung, dass sie dir vielleicht ein wenig hilft. Als allererstes möchte ich dir eines sagen: Du bist stark, so verdammt stark und ich bin stolz auf dich. Denn du stehst, vielleicht etwas gekrümmt, aber du atmest, nach all dem, was dir angetan wurde oder vielleicht auch noch angetan wird. Als zweites würde ich dir gerne bestätigen – nein, eher einflößen – dass deine Gefühle und Schmerzen berechtigt sind. Vielleicht können Außenstehende deine Wunden nicht sehen, doch deine Seele leidet. Es ist legitim, dass du nicht mehr kannst. Du brauchst nicht so tun, als wäre nichts, und du musst dein Leiden nicht verstecken. Als drittes möchte ich dir mitteilen: Du bist nicht alleine. Schätzungen zur Folge sind sechs Prozent der deutschen Bevölkerung narzisstisch und belasten damit nochmals mehr Menschen in ihrem Umfeld. 

So agieren Narzissten

Vielleicht hast du nur ein leises Bauchgefühl, dass du unter einem Narzissten leiden könntest und noch nicht viel Wissen über das Thema. Fall du also etwas Aufklärung brauchst: Eine kleine Dosis gibt es jetzt! Ist jemand selbstverliebt und dominant, wird schnell mit dem Begriff „Narzisst“ oder „Narzisstin“ um sich geschmissen. So einfach ist das jedoch nicht. Zuerst möchte ich einmal klarstellen, dass wir hier von einer Persönlichkeitsstörung sprechen. Narzissmus ist also eine klinische Diagnose. Die Eckdaten: Narzissten leiden unter einem mangelnden Selbstwertgefühl und reagieren extrem empfindlich auf Kritik. Um das zu kompensieren, gaukeln sie ein riesiges Selbstbewusstsein vor. Außerdem fällt es den Narzissten schwer, sich in andere hineinzuversetzen, ihnen mangelt es an Empathie. Daraus resultiert – na klar – das so typische egoistische Verhalten. Zudem stellen sie sich gerne als großartig dar – du kennst es bestimmt: Du wirst niemals so gut sein wie er oder sie (Newsflash: That’s a lie!), fühlst dich immer unterlegen und wirst in die Rolle des oder der Bewunder:in gedrückt.

Auch Manipulation und jegliches toxisches Verhalten gehen damit einher. Betroffene fühlen sich schnell erschöpft, ausgelaugt, klein und abgeschnitten von der Außenwelt. Das Problem: Eingestehen tun sich Narzisst:innen dieses verhalten nicht. Deswegen sind sie kaum zu therapieren. Wie auch, wenn sie nie auf die Idee kommen würden, dass etwas bei ihnen nicht stimmt?

Viele denken bei Narzisst:innen außerdem direkt an den Partner oder die Eltern. Es gibt auch Narzissten unter Freunden oder in der Arbeitswelt. Und ja, sie können auch weiblich sein. Natürlich sind das jetzt nur die Basics der Basics und natürlich ist nicht jede:r Narzisst:in gleich. Die Persönlichkeitsstörung kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Im geliebten World Wide Web findet ihr noch jede Menge (Expert:innen-)Infos zum Thema!

Narzisstischer Missbrauch war meine Normalität

Nun aber zurück zu den sechs Prozent. Das klingt erstmal wenig, in der Realität sind es allerdings 4.986.000 Deutsche, die Leute in ihrem Umfeld mit ihrem narzisstischen Verhalten beeinflussen, wenn nicht sogar quälen. Ein Opfer dieser fast 5 Millionen deutschen Narzissten bin zum Beispiel ich. Ich bin in einem toxischen Familienumfeld aufgewachsen und wurde somit quasi in die Situation hineingeboren, bin mit dem psychischen Missbrauch aufgewachsen, ohne es anfangs wirklich zu merken. So hart, wie es klingen mag: Es war meine Normalität. Wenn ich so zurückdenke, haben sich schon mit 12/13 die ersten auffälligen psychischen Verstimmungen eingeschlichen. Darauf folgte nach Jahren des Versteckens und Verdrängens mit der Volljährigkeit die ein oder andere Diagnose. Heute geht es mir besser – mal mehr, mal weniger. Aber so klischeehaft, wie es klingt: Es hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Doch bevor ich mich weiter in meinem eigenen Mist suhle – denn darum soll es hier nicht gehen – weiter im Text und zurück zu dir.

Der erste Schritt …

Bitte nun genau zuhören(lesen): „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“ ist so fucking true!! Denn wer sich jetzt denkt, dass es einem schon bewusst sein wird, wenn Menschen einen schlecht behandeln, den muss ich leider enttäuschen. Das Ganze ist leider nicht so einfach, wenn du manipuliert wirst. Ich sage nur: Gaslighting & Co. … Solltest du also nur das geringste Bauchgefühl haben, dass in der Beziehung mit einem Menschen in deinem Umfeld etwas schief läuft, dann geh dem nach – tu es bitte einfach! Und ja, das wird schmerzhaft sein und eventuell deine Welt auf den Kopf stellen. Aber ich schmeiße mal in den Raum: Vermutlich hat dein Bauchgefühl recht und will dich bloß warnen. Vielleicht bist du diesen Schritt schon gegangen und weißt: Diese Erkenntnis kann dauern und einfach SO verdammt wehtun. Es ist jedoch der erste Schritt zur Besserung. Denn wenn dir nicht bewusst ist (oder du es dir nicht eingestehen willst), dass da jemand ist, der dir nicht guttut, wird sich natürlich auch nichts ändern. Daher sei mutig, höre auf dein Bauchgefühl, hinterfrage und horche in dich herein: Tut er oder sie mir wirklich gut? Falls du dir nicht sicher bist, ziehe vielleicht einen lieben Menschen zu Rat. Oft sehen die Menschen von außen viel klarer, was eigentlich gerade passiert.

Wenn die Antwort „Nein“ oder „Ich weiß nicht so genau“ lautet, dann weißt du eigentlich schon Bescheid. Das Problem: Es wird in den meisten Fällen nichts bringen zu diskutieren oder da etwas retten zu wollen. Ausgeprägte Narzisst:innen können nämlich wahnsinnig gut darin sein, dich unter den Tisch zu reden und dir die Wörter im Mund umzudrehen. Sie wollen sich ja selbst nicht eingestehen, dass sie Fehler machen. Denn in ihrer Welt und Wahrnehmung machen sie halt auch keine. Manchmal ist es besser to save your energy. Du darfst Stopp sagen und für dich einstehen! Auch, wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt.

Dein Gegenüber wird sich damit vermutlich vorerst nicht zufriedengeben, denn ob du es glaubst oder nicht: Er oder sie ist ziemlich abhängig von dir, deiner Bewunderung und allem, was du ihnen gibst. Vermutlich wirst du auch mit Vorwürfen und Beleidigungen überhäuft. Bleib da stark! Das stimmt alles nicht. Narzisst:innen sind hartnäckige Energergievampire –  sie müssen dich aufsaugen, um sich größer zu machen. Doch du wirst dadurch ja nur leerer und kleiner. Möchtest du das? Vermutlich nicht.

Ob du nun wirklich den Kontakt zu der Person abbrichst, ist natürlich deine Entscheidung und auch immer von der Situation abhängig: Wie ausgeprägt ist der Narzissmus? Gibt es vielleicht doch Einsicht? Wie steht ihr zueinander? Das kann ich von außen natürlich null bewerten. Ich kann dir nur eins raten: Finde einen Weg, deine Energie zu schützen und streiche toxisches Verhalten aus dem Umfeld. Du, nur du alleine, kannst dafür Sorgen, dass dein Kreis aus Menschen besteht, die dir guttun. Das mag mit schwierigen Entscheidungen und Schritten zusammenhängen. Ich fühl das total! Aber das Schöne ist: Du darfst sie tun. Du bist es wert, dich mit Menschen zu umgeben, die dich stützen und dir Gutes tun.

Und vor allem: Mach dich nicht selbst fertig! Du kannst nichts dafür oder bist dumm, weil du jemanden so mit dir umgehen lassen hast. Ich glaube sowieso, dass alles aus einem Grund passiert und dir kein Mensch hier zufällig über den Weg läuft. Dir wird diese Erfahrung auf deinem Seelenweg helfen. 🤍

Du DARFST dir Hilfe holen

Solltest du dich nach einer Narzissmus-Erfahrung nun ausgelaugt, erschöpft und mental nicht komplett auf der Höhe fühlen – kein Wunder! Psychischer Missbrauch, auch wenn man ihn in unserem Rechtssystem noch nicht strafrechtlich verfolgen kann, hat seine schwerwiegenden Folgen. Wenn du kannst, hole dir Hilfe! Es gibt so tolle therapeutische und ganzheitliche Ansätze. Such dir etwas, was dir hilft, dich zu stützen und dir deine Stärke zurückzuholen. Und schieb das nicht so lange auf. Ich spreche da aus Erfahrung: Es wird immer wieder Trigger-Punkte geben, die dich zurück in dein Trauma werfen und für viel Leid sorgen können. Mich werfen gewisse Verhaltensweisen immer noch aus der Bahn und sorgen für Stress in zwischenmenschlichen Beziehungen. Meine Reaktion zeigt mir dann zwar oft auf, dass da was schiefläuft. Trotzdem ist es einfach anstrengend, da ich solche Menschen leider auch immer noch anziehe und es mir schwer fällt, damit gut umzugehen. Stichwort: Männer. It is what is is, muss es aber nicht sein. Ich bin da selbst noch nicht am Ende meiner Reise (sollte die überhaupt je enden).

Wichtig ist: Wir dürfen solche Cycles durchbrechen. Vor allem müssen wir hier nicht stark sein und das alles alleine durchmachen. Sei lieber einmal zu viel „schwach“ und hole dir Unterstützung. Being soft is cool. 🤍 Auch wenn das erstmal alles anstrengend und das System in Deutschland (Hallo, weil lang-lästiger Spießrutenlauf zum Therapieplatz) da wirklich ausbaufähig ist.

Ein weiterer Tipp: Tausch dich mit anderen Betroffenen aus! Mit einer Person zu sprechen, die dich da versteht, ist Balsam für die Seele. Denn du bist nicht alleine, egal wie einsam du dich fühlen magst!

Die Sache mit dem Friedenschließen

Ich möchte dir noch ans Herz legen: Schließe Frieden mit der Situation. Das heißt nicht, dass du vergeben (außer dir selbst!) oder vergessen musst. Das heißt auch nicht, dass du in Momenten nicht mehr traurig oder wütend sein darfst. Das bedeutet auch nicht, dass du die Person wieder in dein Leben holen musst. Das bedeutet lediglich, dass du zur Ruhe kommst. Dieser Prozess dauert auch und wird nicht übermorgen passieren, aber irgendwann wirst du abschließen können. I promise!

Vielleicht hilft es dir zu wissen, dass Narzisst:innen auch nur Opfer ihrer Vergangenheit sind. Die Persönlichkeitsstörung resultiert aus einer Kindheit, in der es an emotionaler Nähe gefehlt hat. Zuwendung und Aufmerksamkeit wurden oft nicht bedingungslos erteilt, sondern mit bestimmten Leistungen verknüpft. Das nennt sich „konditionale Akzeptanz“. Sie wurden von ihren Eltern nicht so wertgeschätzt wie sie sind – mit ihren Schwächen. Emotionen wurden ignoriert und Fehler oft mit Missachtung bestraft. Häufig schämen sich Narzisst:innen, wenn sie sich verletzlich zeigen und tun es daher auch nicht. Eigentlich steckt in ihnen nur ein sehr einsames und kaputtes inneres Kind. Das macht natürlich ihre Taten in der Gegenwart nicht gut, aber vielleicht siehst du so das Ganze nochmal von einer anderen Seite.

Zu guter Letzt: Du bist eine tolle Person mit all deinen Ecken und Kanten. Du kannst ganz viele Dinge sehr gut, auch wenn dir da vielleicht jemand immer wieder etwas anderes sagt. Du kannst lieben, soft sein, Emotionen zeigen und vor allem eines: Für dich einstehen und dir ein schönes Leben gestalten, mit Menschen die es bereichern.

xxx, Clara 🤍

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