Weiter hat Lilly das Internet durchsucht, Ernährungsbücher gelesen (sie legt jedem auch nicht kranken Menschen „How Not To Die“ von Michael Gregor ans Herz) und sich eine Balance aus Sport und Ernährung geschaffen: „Ich habe wirklich 110% gegeben, mich auf alles eingelassen. Ich war und bin extrem diszipliniert. Ich hab mich manchmal gefühlt wie ein Soldat. Wenn ich eine Challenge bekomme, nehme ich sie an. Und ich glaube aufgrund all dieser Sachen habe ich es überhaupt nur geschafft in nur einem halben Jahr keinen Krebs mehr zu haben. Ich habe den Krebs sozusagen besiegt, allerdings kann man einen metastasierten Krebs nicht ganz besiegen: Ich muss immer noch alle drei Wochen zur Therapie, damit er nicht zurückkommen kann.“
Das ist auch das, was heute am meisten an Lilly nagt: Viele Leute, die ihren Krebs besiegt haben, können ihr Leben danach wieder aufnehmen. Sie allerdings muss bis ans Ende ihres Lebens alle drei Wochen zur Therapie und kann mit dem Kapitel nicht abschließen. „Es ist ein Teil meines Lebens und wird auch immer einer bleiben. Diese Therapie ist für mein Immunsystem, eine Antikörper-Therapie.“ Die Ärzte haben nämlich herausgefunden, dass Lilly einen seltenen Gen-Defekt, TP53, das Li-Fraumeni-Syndrom, hat, den nur 400 Leute auf der Welt haben und der eine 100-prozentige Chance auf Krebs bedeutet. Das heißt, einen Krebs, nicht unbedingt Brustkrebs, wird man in seinem Leben mindestens bekommen. „Das Traurige ist aber, dass der Krebs nur so selten ist, weil viele Leute eben gar nicht wissen, dass sie ihn haben. Denn man muss sich speziell darauf testen lassen. Und das kostet viel Geld, das die Krankenkasse nicht übernimmt. Ich habe eine Krebsart, die noch wenig erforscht, aber sehr aggressiv ist: Glücklicherweise ist meine Therapieform gerade entwickelt worden – mein Arzt meinte, wenn ich vor drei Jahren mit meiner Diagnose gekommen wäre, hätten sie nicht viel für mich tun können.“ Eine weitere Hiobsbotschaft: Lilly hat erfahren, dass sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren höchstwahrscheinlich ein zweites Mal Krebs bekommt.
Auch das ist der Grund, warum sich Lilly seit sechs Monaten komplett vegan ernährt und so auf ihre Gesundheit achtet. Sie will den Krebs nicht füttern und es ihm so schwer wie möglich machen, zurückzukommen. „Vorher habe ich alles gegessen, was ich in die Finger bekommen habe, ich habe mir gar keine Gedanken über Ernährung gemacht. Dass ich jetzt vegan esse, geschah auch nicht aus Überzeugung: Mein Arzt sagte mir von Anfang an, dass ich kein Fleisch essen sollte, weil in der Massentierproduktion einfach wahnsinnig viel mit Hormonen gearbeitet wird und das alles jetzt noch schlechter für mich ist. Direkt am Anfang habe ich ja schon keinen Zucker mehr gegessen, dann habe ich das Fleisch weggelassen und schließlich auch die Milchprodukte – da eigentlich alles, was heutzutage von einem Tier kommt, mit Hormonen belastet ist, und auch der biologischen Haltung vertraue ich nicht. Ich bin sehr visuell und habe mir gesagt, dass ich meinen Körper gerade versuche zu reinigen – vom Krebs und von allem Schädlichen. Und ich bin für mich zu dem Entschluss gekommen, dass alles, was von einem Tier kommt, nicht gut für mich sein kann. Und wenn ich manchmal im Supermarkt doch sehnsüchtig an einem Stück Käse vorbei gehe, denke ich immer daran, dass meine Gesundheit viel wichtiger ist, als ein kleines Stück Käse.“
Da Lillys Gendefekt negativ auf Bestrahlung reagiert, muss sie auch auf etwas Weiteres verzichten: Die Sonne. „Jeden Tag schaue ich mir den UV-Index an und entscheide danach, wo ich mich aufhalte. Ich liebe die Sonne, aber das ist jetzt vorbei. Wenn, dann kann ich ganz früh morgens oder spät Abends in die Sonne und dann auch nur mit Sonnenschutzfaktor 50. Wenn ich mir überlege, wie ich früher in Israel immer gerne in der Sonne gebrutzelt habe, ohne mich einzucremen, musste ich fast lachen und mich fragen, warum ich keinen Hautkrebs bekommen habe.“
Der Humor und die positive Einstellung ist Lilly geblieben, auch wenn sie ab und an mal schlechte Tage hat: „Am Schlimmsten war es, als mir meine Haare ausgefallen sind. Jeden Tag, wenn ich mir meinen Pullover ausgezogen habe, hingen an ihm büschelweise Haare. Ich habe meine lange Löwenmähne geliebt und hasse meine kurzen Haare! Ich reibe mir jeden Tag Kokosnussöl in die Kopfhaut, damit meine Haare schneller wachsen. Vor ein paar Tagen habe ich viel geweint, weil ich unbedingt Wimpernextensions haben wollte – ich schmiere mir die Wimperntusche schon immer auf die Haut. Aber wo keine Wimpern sind, kann man auch nichts verlängern. Und dann ist wieder ein Sommertag und ich kann kein kurzes Kleid anziehen, weil meine Beine viel zu weiß sind. Manchmal ist es eben doch sehr viel für mich. Ich war ein Mädchen, das vor dem Krebs gedankenlos gemacht hat, worauf es Lust hat. Manchmal sitze ich im Restaurant und alle trinken ein Glas Wein und ich darf nicht. Aber ich habe mir gesagt, wenn einer meiner Geschwister heiratet, darf ich einen Abend Alkohol trinken. Zum Glück ist mein Bruder schon mal verlobt!“
Worauf sie auch noch hinblickt ist, dass jedes Jahr so viele Medikamente auf den Markt gebracht werden, die verschiedene Krebsarten heilen können: „Ich hoffe einfach, dass wenn ich nochmal Krebs bekomme, die Forschung schon sehr viel weiter ist. Natürlich habe ich auch Angst vor der Zukunft, aber ich denke mir, ich habe das alles schon einmal so gut gemeistert, ich schaffe es auch noch mal.“
Während sie sich selbst Mut machte, gab sie vor allem auch vielen anderen Frauen und Krebspatienten Kraft und Hoffnung: „Irgendwann habe ich angefangen einen Instagram-Account zu machen, da ich das Gefühl hatte, ich muss auch anderen Leuten helfen und diejenigen motivieren, die in einer ähnlichen Situation stecken wie ich. Und ich wollte nicht nur zeigen, dass man mit Krebs leben kann, sondern auch ein Bewusstsein schaffen. Mir geht es darum, dass man mit Krebs auch gut leben kann, dass man sich nicht gehen lassen muss, dass man sich trotzdem Mühe geben kann, toll auszusehen. Es ist nicht immer alles wie im Film: Da ist eine Krebspatientin, sie hat keine Haare mehr und sie stirbt langsam. Ich will mich schön anziehen, mich schminken, mich gut fühlen. Je besser ich mich fühle, desto besser geht es mir. Und ich freue mich, wenn ich das mit anderen Leuten teilen kann. Der Instagram Account, aus dem auch der Blog entstand, war auch für mich wie eine eigene Therapie.“
Auf ihrem Blog und auf Instagram (mittlerweile hat sie beides pausiert, da sie nicht nur über ihre Krankheit identifiziert werden möchte) erzählte Lilly nicht nur von ihrer Reise, die Hobby-Köchin zeigt vor allem gesunde und vegane Rezepte mit „Cancer-Super-Foods“ und inspiriert zu gesunder Ernährung: „Es ist komisch: Ich dachte früher immer, mein Körper braucht Fleisch, zum Beispiel auch für den Muskelaufbau. Und jetzt lebe ich seit sechs Monaten ohne Zucker und Tierprodukte und mein Körper hat nicht einmal danach geschrien. Ich esse auch nicht viel Fruchtzucker, mal eine Banane und einen Apfel. Ansonsten viele Nüsse, Bohnen, Kichererbsen, für Saucen mische ich immer Gemüse in den Blender und benutze viele Gewürze, damit das Essen einfach viel Geschmack hat. Ich habe das Kochen davor schon geliebt, das ist natürlich jetzt eine Hilfe und macht mir jeden Tag Spaß.“
Lillys größtes Ziel ist es aber, jungen Frauen zu vermitteln mit sich und seinem Körper im reinen zu sein, sich nicht zu schämen, seine Brust selbst zu untersuchen, wenn man Schmerzen hat, wirklich zum Arzt zu gehen und sich nicht wegschicken zu lassen. „Ich bereue es, dass ich nicht besser auf mich gehört und den Ärzten in London geglaubt habe. Das hat mir ein halbes Jahr genommen, in dem der Krebs gewachsen ist.“ Die Ärzte verklagen will Lilly nicht. Sie hat es nicht darauf abgesehen, Leuten zu schaden und es wird sich nichts an ihrer Situation ändern: „Ich bin auch nicht eine Person, die Leuten das Leben schwer machen will. Aber vielleicht werde ich denen mal einen Brief schreiben und ihnen sagen, dass sie nicht einfach wegschauen können, nur weil ein 26-jährigens Mädchen zu ihnen kommt.“
Etwas Positives hatte das letzte Jahr aber für Lilly: „Durch diese Sitaution bin ich als Mensch sehr gereift, ich bin viel positiver, beschwere mich viel weniger, alles ist in Relationen gut. Das Leben muss weitergehen, ich bin so ein lebensfroher Mensch und will mir das auf keinen Fall nehmen lassen.“
Übrigens: Zusammen mit ihrer Freundin Sarah gibt sie am 16. Juli einen Self-Empowerment-Workshop in Hamburg.
*Name von der Redaktion geändert