„Mein Plan ist es, vier Tage (und vier Nächte!) allein im Wald zu verbringen“

Schon mal überlegt, so ganz und gar zu dir selbst zu finden? Mit Abstand zum Alltag, raus aus dem normalen Leben und GO?! Nichts mehr mit „Comfort Zone“, Ablenkung oder Ausflüchten. Nur du, deine Ängste… und die große Suche nach einer Vision für dein Leben.

Die Autorin und Bloggerin Christine Dohler hat genau das ausprobiert und sich mehrere Tage einer Aufgabe gestellt, die nicht nur an die Grenzen bringt – sondern weit darüber hinaus. Diese Erfahrung hat sie in ihrem Buch „Am Ende der Sehnsucht wartet die Freiheit“ (hier zu kaufen) festgehalten, gemeinsam mit weiteren Geschichten, über das Verstand verlieren und Sinn (wieder)finden…

Ihre Visionssuche führte sie dabei an einen abgeschiedenen Ort, nämlich direkt in die Tiefen eines Waldes. Mittlerweile gibt es verschiedene Anbieter – die dich 8 bis 11 Tage bei Erfahrungen wie dieser teachen und vorbereiten. Auf die Suche nach sich selbst muss man nicht unbedingt alleine gehen, doch unsere Autorin entschied sich bewusst für das Solo-Erlebnis von www.naturseminare-visionssuche.de. Und diese Reise hat sie so einiges gelehrt, überzeugt euch selbst…

Christine Dohler begibt sich in ihrem Buch auf die Suche nach Freiheit

Unter anderem beschreibt sie darin ihre Erfahrung, die sie alleine in einem Wald gemacht hat

Manchmal muss man verloren gehen, um sich neu zu finden

Es knurrt – und ich zucke mit einem Schrei zusammen. Um dann erleichtert festzustellen, dass sich nur mein Magen gemeldet hat. Hier draußen kann man aber auch paranoid werden! Der Plan ist, dass ich vier Tage (und vier Nächte!) allein im Wald verbringe. Ohne Menschen. Ohne Essen. Ohne Zelt. Ohne Uhr. Nur mit mir. Obwohl, das wäre gelogen. Mich begleiten Ameisen, Spinnen, röhrende Hirsche, Käuzchen, die Sonne und die Sterne. Wie ich auf diese tollkühne Idee gekommen bin? Dadurch, dass ich mir immer wieder selbst auf die Spur kommen möchte und in diesem Zusammenhang von sogenannten Naturseminaren gelesen habe.

Meine romantische Vorstellung war, mich als Großstadtpflanze mit der Natur zu verbinden, mit allen Sinnen das Leben zu genießen, frische Luft zu atmen, Zeit zum Nachzudenken zu haben und dabei Schmetterlinge zu beobachten. Ich sah mich wie Pocahontas durch den Wald streifen und mit den Vögeln singen. Gleichzeitig wünschte ich mir, so einige Themen hinter mir zu lassen: verflossene Männer und Selbstbilder, die nicht mehr zu mir passen. Und ich wollte mir beweisen, dass ich dem Alleinsein ins Auge schauen kann. Und so entschied ich mich für ein Seminar mit dem Titel „Visionssuche“ – ein altes Ritual von Naturvölkern, bei dem man sich im Spiegel der Natur selbst begegnen soll.

Es ist eine Abenteuerreise der ganz besonderen Art

Viele Menschen wählen diese Auszeit nach tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Leben: Trennungen oder Verluste. Es ist eine ungewöhnliche Abenteuerreise, die einen jenseits der Zivilisation bringt. Zu Beginn begleitet mich der Seminarleiter Ulrich aus Niederbayern und seine Assistentin Vera, Kletterlehrerin aus Freiburg. Zwei Tage lang bereiten sie mich in der Toskana in der Nähe von Siena intensiv vor. Wir sprechen über meine Ängste und darüber, warum ich mich dem Ritual unterziehe. Außerdem erklären sie mir alle Sicherheitsregeln. Im Naturpark herrschen milde Temperaturen und zur Zeit streifen auch keine Jäger durch die geschützte Wildnis, dafür aber jede Menge Wildschweine.

Obwohl Ulrich immer wieder betont, dass diese Tiere sich überhaupt nicht für mich interessieren, habe ich Riesenangst, einem von ihnen zu begegnen. „Nur wenn man sie stört und sie ihre Jungen verteidigen wollen, wird es brenzlig“, erklärt er. „Aber Wildschweine können nicht klettern. Im Notfall suchst du dir also einen Baum.“ Das Problem: Ich kann auch nicht klettern.

Deshalb nehme ich eine laute Trillerpfeife mit. Den Tipp habe ich von der Tochter einer Freundin, und die wusste es aus der TV-Sendung „Löwenzahn“. Meine beiden Betreuer halten sich im Basislager, einem toskanischen Landgut, für den Notfall bereit. Es passt also jemand auf mich auf, ein gutes Gefühl, das mir Mut macht.

Es geht darum, sich bewusst der Natur auszusetzen statt sich von ihr abzugrenzen.“

Direkt nach Sonnenaufgang marschiere ich los. Mit wackeligen Knien und vier Fünf-Liter-Wasserkanistern. Auf einer Wiese richte ich mich ein. Sie liegt nicht zu nah am Fluss, in einem Jungwald mit niedrigen Bäumen in meinem Alter. Und überall: der einladende Duft von Pfefferminze. Auf einer wasserdichten Plane breite ich meine Luftmatratze und den Schlafsack aus, eine weitere Plane spanne ich zwischen zwei Bäume, um bei Regen nicht allzu nass zu werden.

» Warum ich kein Zelt aufschlage? Weil so die Regeln sind. «

Es geht darum, sich bewusst der Natur auszusetzen statt sich von ihr abzugrenzen. Am ersten Tag begleitet mich die Hofhündin Tula, die sich vom Basislager weggeschlichen hat. Sie bellt abschreckend in alle Himmelsrichtungen rund um meinen Platz, was mich beruhigt. Zum Mittagessen gibt es Wasser mit selbst gepflücktem Salbei. Ich werde die nächsten Tage fasten, um keinerlei Ablenkung zu erfahren. Und ehrlich gesagt bin ich auch ganz froh, kein Essen dabei zu haben, weil es Tiere anlocken könnte. In dieser Welt hier bin ich deutlich unterlegen, ich kann ja noch nicht einmal im Dunkeln sehen.

So steigt in der Dämmerung auch meine Aufregung. Noch bevor es stockfinster wird, schlüpfe ich in meinen Schlafsack – muss aber erst einmal eine Monster-Spinne rausschmeißen. Reden hilft, denke ich. Und sage ihr klipp und klar, dass sie auf drei abhauen soll. Die Energie scheint sofort angekommen zu sein: Die Spinne rennt um ihr Leben. Klappt doch. Grenzen setzen und klare Ansagen – das sollte ich auch in meinem normalen Leben öfter ausprobieren. Als dann die ersten Sterne funkeln, wird es wirklich gruselig. Ich rufe gegen die röhrenden Hirsche, grunzenden Wildschweine und zirpenden Insekten an: „Lasst mich bitte in Ruhe schlafen!“

Bei jedem Mucks klappen meine Augen schlagartig auf und ich knipse die Stirnlampe an. Der Lichtkegel streift dann hektisch die Umgebung. Trotzdem bin ich stolz auf mich. Ich könnte ja auch in Panik ausbrechen. Nach der ersten überlebten Nacht fühle ich mich sicherer. Ich kenne langsam alle Geräusche, vertraue darauf, dass mir hier niemand etwas Böses will und erinnere mich an Ulrichs Worte: „U-Bahnfahren oder ein Diskobesuch sind gefährlicher als eine Nacht im Wald.“ 

Keine Pläne, keine Verpflichtungen – einfach treiben lassen

Tagsüber erkunde ich mit meiner Weggefährtin Tula die Gegend. Sie marschiert vorneweg und wenn ich mal hinter einem Baum in die Hocke gehe, hebt sie ihr Bein danach am selben Ort. Tula zeigt mir ihre Lieblingswege und wir schwimmen im Fluss. Danach schüttelt sie sich in zwei Minuten trocken, ich brauche 30 Minuten auf einem Stein, den ich mir mit drei Eidechsen teile.

Als sich Tula verabschiedet, überfällt mich eine furchtbare Langeweile. Damit habe ich nicht gerechnet. Im Gegenteil: Wie groß war immer mein Wunsch nach mehr Zeit, danach, nichts zu tun zu haben. Und jetzt komme ich damit nicht klar. Ich sehne mich nach allen ungelesen Büchern in meinem Regal, während ich im Gras liege und die Wolken zähle. Trotzdem geht es mir gut. Mich verfolgen weder hektische Gedanken, noch habe ich Heißhunger. Als ob mich die frische Luft und der intensive Kontakt zur Natur so nährt, dass ich gar kein Essen brauche. Aber ich komme ja auch nicht an einem Bäcker vorbei, der mir Appetit macht. Ich schmiede keine Pläne, sondern lasse mich treiben, die Sonnenstrahlen tanken mich auf.

Noch nie in meinem Leben habe ich mich so voller Adrenalin, so lebendig gefühlt, geradezu elektrisiert.“

In der zweiten Nacht werde ich allerdings von einem heftigen Gewitter überrascht. Es ist zu spät, um zum Basislager zurückzukehren. Es liegt zwar weniger als einen Kilometer entfernt, doch nachts durch den Wald zu laufen ist mir zu unsicher. Ich spüre jeden Blitz und jeden Donner direkt über und in mir. Ich bete, was ich seit meiner Kindheit nicht mehr getan habe. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so voller Adrenalin, so lebendig gefühlt, geradezu elektrisiert.

Es klingt komisch, aber am nächsten Morgen fühlt es sich an, als habe diese Naturgewalt mich in meine Kraft gebracht. Ich vertraue der Natur und mir. Die Zeit vergeht wie im Flug und gleichzeitig scheint sie still zu stehen. Stundenlang kann ich auf einem Stein sitzen und einfach nur ins Wasser schauen. Die letzte Nacht kommt schneller als erwartet…

» Es ist die so genannte Wachnacht, in der man nicht schläft, sondern in einen Neubeginn hinein hockt. «

Kaum habe ich mich an einen Baum gelehnt, stelle ich fest, dass ich mich direkt an die Wildschwein-Autobahn gesetzt habe. Auf dem Pfad sehe ich die Spuren der Tiere – und habe keine Angst mehr. Ich blicke auf die Kerze vor mir. Wie im Traum erscheinen Menschen aus meinem Leben. Ex-Freunde, von denen ich mich verabschiede. Meine verstorbene Oma, die liebe Worte für mich findet. Ja, es ist die längste Nacht meines Lebens, aber in mir entsteht das Gefühl von Frieden und Versöhnung. Meine Sinne sind so offen und geschärft wie nie, ich spüre den Wald, genieße einfach. Eine berührende Erfahrung, die sich wie eine Rückkehr zu meinen Wurzeln anfühlt. Aufgehoben, verbunden und gleichzeitig frei.

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