„Corona“ – es ist jetzt schon mit unfehlbarer Sicherheit das Unwort des Jahres 2020. Man hört, liest und sagt es selbst so oft, dass ich mich mittlerweile frage, ob es jemals eine Zeit davor gab. Das Virus ist mittlerweile (fast) überall, und zwar in jedem möglichen Sinne. Öffne ich Instagram, spricht in seiner Story vom entferntesten Bekannten bis hin zu der A-Liga Hollywoods jeder nur noch über dieses eine Thema. Hunderte von Corona-Meme-Pages tauchen plötzlich auf, ja sogar auf Pornhub trendet der Begriff „Quarantine Sex“ (lasse ich unkommentiert). Treffe ich meine Nachbarin beim Müll-Rausbringen vor der Tür, fragt sie mich mit Nachdruck, ob es mir denn auch wirklich gut gehe und erzählt mir von ihrem Glück, dass sie schon seit Jahren einen Mundschutz „für alle Fälle“ in ihrer kleinen Hausapotheke habe. Laufe ich zum Durchatmen durch den Park – mit viel Abstand – an anderen Menschen vorbei und schnappe ihre Wortfetzen auf, so enthalten diese fast immer die Wörter „zuhause“, „Quarantäne“, „Home Office“ oder „beängstigend“.
Genau das ist es: beängstigend. Diese Pandemie macht uns Angst. Denn sie ist etwas, womit die meisten von uns sich zum allerersten Mal in ihrem Leben beschäftigen müssen. Krisen, so wirkliche Krisen – wir kennen sie nicht. Alle, die das hier gerade lesen, sind vermutlich mit dem Privileg geboren, in einem vergleichsweise politisch und wirtschaftlich stabilen Land groß geworden zu sein. Mit dem Privileg, sich jederzeit frei bewegen zu können und freien Zugang zu jeglichen Konsumgütern zu haben. Eine Selbstverständlichkeit. Wenn wir an „Reichtum“ denken, denken wir an ein fettes Loft, einen Schrank voller Designer-Klamotten, einen Urlaub im Privat-Bungalow auf den Malediven oder an ein krasses Auto. Wir vergessen, dass der wahre Reichtum in politischer Sicherheit und individueller Freiheit liegt. In all den „kleinen“ Dingen, die wir, seit wir autonom durchs Leben gehen, für gegeben nehmen. Genau das führt uns das Corona-Virus und seine damit einhergehenden Schutzmaßnahmen gerade mit unheimlicher Schlagkraft vor Augen, und weil wir in eben dieser Freiheit beschnitten werden, bekommen wir es mit der Angst zu tun.
Ein Schleier von Verunsicherung und Demut liegt nun über uns
Es ist eine Ausnahmesituation für alle von uns. Die meisten von uns bestreiten nicht mehr ihren alltäglichen Weg zur Arbeit, Familien mit Kindern müssen sich komplett neu strukturieren, das Wochenende verliert irgendwie an Bedeutung und generell ähnelt die Stadt gerade eher einer Geisterstadt. Man sieht sich plötzlich mit ganz neuen Herausforderungen und moralischen Konflikten konfrontiert: Der Urlaub mit meiner Mom, auf den ich mich so sehr gefreut hatte, fällt ins Wasser. Darf ich überhaupt traurig sein, angesichts der Tatsache, dass andere es so viel schlimmer erwischt hat? Letzte Woche war ich noch mit einer Freundin lunchen. War das nicht völlig unverantwortlich? Eigentlich möchte ich gerne meine Familie besuchen. Was aber, wenn ich unwissentlich eine Virusträgerin bin und meine Eltern anstecke? Würden sie das überleben? Wenn der Lockdown in Deutschland wirklich kommt, wie handeln mein Freund und ich das dann? Ziehen wir für diese Zeit zusammen, wenn ja, bei ihm oder bei mir? Und überhaupt, wollen wir es wirklich wagen, uns auf engem Raum die Köpfe einzuschlagen, oder bleiben wir nicht doch lieber räumlich getrennt?
Nur ein Bruchteil aller Fragen, die mir und vermutlich vielen anderen zur Zeit so durch den Kopf gehen. Von egoistischen Belangen, Banalitäten bis hin zu existentiellen Fragen über Leben und Tod ist gerade alles dabei. Es ist schon wirklich komisch mit anzusehen, wie ein Schleier von Verunsicherung und Demut plötzlich über unserer Gesellschaft liegt. Das normale Leben steht still, ein Hauch von Apokalypsen-Stimmung macht sich breit. „Irgendwie romantisch, diese Endzeitstimmung gerade“, sagt ein Freund von mir, „so lässt es dich doch gut untergehen“. Ouch.