Experte stellt klar: „Der Medienhype um Corona ist zwischenmenschlich sehr problematisch“

Leere Barilla-Regale, ausverkaufte Atemmasken, der nächste Ansteckungsfall, die richtigen Händewasch-Tipps – wo wir gehen und stehen überfluten uns die Nachrichten. Ihr wisst, wovon die Rede ist. Vom Coronavirus, oder auch Sars-CoV-2, natürlich. Irgendwie kommt man an keinem Thema so schlecht vorbei, wie an diesem. Und das ist zunächst natürlich absolut verständlich. Immerhin handelt es sich dabei um eine neuartige Viruserkrankung, die sich in unserer globalisierten Welt unglaublich schnell ausbreitet – und für die es noch immer keine spezifischen Behandlungsmittel gibt.

Eine adäquate Aufklärung und Medienpräsenz ist daher also absolut notwendig, wünschenswert, unumgänglich. Die schnelle Verbreitung beschäftigt uns nun mal. Dennoch darf bei aller Sorge auch die richtige Einordnung nicht fehlen. Doch genau das tut es für uns persönlich leider an der ein oder anderen Stelle.

Sowohl wir als Redaktion, als auch alle von uns als Einzelpersonen, haben sich entsprechend bereits die Frage (bis hin zur regen und konstruktiven Diskussion) gestellt: Wie viel Corona-Posting ist gut für die Gesellschaft? Wann ist es nur noch Öl im Feuer, was wäre aber andererseits nicht informierend genug?!

Es ist eine große Fragestellung, die wir nicht nur durch unser persönliches Bauchgefühl beantwortet wollen wissen. Also haben wir uns exklusiv an Medienexperte Prof. Dr. Franko Rota gewandt, um ein für alle mal zu klären: Was macht dieser ganze Medienhype rund um den Coronavirus eigentlich mit uns? Tut es uns gut, von jedem neuen Verdachtsfall im Live-Ticker zu erfahren? Hilft Humor bei der Verarbeitung? Oder lassen auch lustige Corona-Memes die Dauerpräsenz nur weiter wachsen?

Für uns steht unabhängig davon natürlich fest: Eine aufklärende Berichterstattung darf niemals eingeschränkt werden. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, den richtigen Kontext herzustellen und andere weltpolitische Themen nicht aus den Augen zu verlieren. Wie die prekäre Ausnahmesituation der Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze etwa (mehr dazu hier). Weil so etwas ebenfalls niemals in den Hintergrund rücken darf.

Trotzdem wollen wir, für eine möglichst objektiven Einordnung, nun Prof. Dr. Rota, Prorektor der Hochschule der Medien in Stuttgart, zu Wort kommen lassen.

Ein Medienexperte im Interview

TC: Der Coronavirus ist irgendwie überall. In Memes, auf unserer Timeline, in Interviews, auf Titelseiten. Wie wirkt es sich denn ganz konkret auf uns aus, dieses Thema dauerhaft in den Medien präsent zu haben?

Dr. Rota: „Der Medienhype um Corona ist zwischenmenschlich sehr problematisch. Je häufiger von Ansteckungsfällen gesprochen wird, umso größer wird das Misstrauen der Menschen untereinander. Die körperlichen Distanzen steigen notgedrungen aufgrund ärztlicher Empfehlungen und damit auch die geistige Distanz, selbst in Freundeskreisen. Psychologisch gesehen ist diese medial geschaffene Massenhysterie ein wunderbares Beispiel für die Manipulationsfähigkeit des modernen, sogenannten aufgeklärten Menschen durch die Massenmedien.“

Wird durch die ständige ‚Sichtbarkeit‘, um die wir – gewollt oder nicht – kaum herumkommen, also tatsächlich Panik eher noch geschürt?

„Klar, je gegenwärtiger ein Thema in den Medien präsentiert wird, als umso wichtiger wird es von den Rezipienten und Usern auch eingestuft. Das folgt den ganz klassischen Thesen: Dass nämlich einerseits die Leitmedien die gesellschaftliche Diskussion bestimmen und dass andererseits der ‚two- oder multi-step-flow of information‘ (Anm. d. Red.: Kommunikationsmodell, nach dem Massenmedien zunächst meinungsstarke Leser informieren, die diese dann ihrerseits an Rezipienten weitertragen) beste Wirkung zeigt. Das Thema wird zum überzeichneten gesellschaftlichen Diskussionsthema und reicht bis in die persönliche Dimension der zwischenmenschlichen Kommunikation.“

Medien wollen Schlagzeilen, Corona „liefert“ sie

Für den Kommunikationswissenschaftler steht also fest: Unsere Klicks befeuern den Hype – aber auch die Panik. Wir wollen alles darüber wissen? Also wird auch a-l-l-e-s darüber berichtet. Eine verständliche Wechselwirkung … die durchaus ungesund werden kann. Denn dass wir dadurch kaum die Möglichkeit haben, unserem Kopf Erholung vom Virus-Karussell zu gönnen, liegt für Dr. Rota ebenfalls auf der Hand. Natürlich lassen sich Sorgen deshalb nicht einfach beiseite wischen. Und sind je nach Individuum auch berechtigt. Trotzdem scheint eine so emotionale Berichterstattung (über die objektive Einordnung hinaus) durchaus Einfluss auf unsere Wahrnehmung zu haben. Lasst uns daher vielleicht mal ganz bewusst nachhaken …

Inwieweit sind die Medien (also auch wir selbst) in der Verantwortung, Inhalte zu reproduzieren – aber auch davon abzusehen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist?

Information und Aufklärung sind wichtige Funktionen der Massenmedien, die nicht einfach aufgegeben werden dürfen. Es ist jedoch immer eine Frage des Ermessens, zu beurteilen, ob ein Thema weitergedreht wird und ob, über den reinen Sachstand hinaus, zusätzliche Informationen geliefert werden. Also ob z.B. über persönliche Schicksale, Hintergrundinfos etc. geschrieben wird. […] Verantwortlich informieren heißt deshalb, sich die Auswirkungen von Medieninformationen anzusehen und damit selbstkritisch ein besonnenes Publizieren vorzunehmen, also z.B. nicht Öl ins Feuer zu gießen, wenn man feststellt, wie aufgeheizt eine Stimmung bereits ist.

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Information is key! Darin dürften sich alle einig sein. Wie und in welchem Ausmaß die Berichterstattung darüber hinaus aber vorgenommen wird, das bleibt wohl Ermessenssache – und ist nur selten für jeden gleichermaßen nachvollziehbar. Während sich die einen durch Memes und Witze beispielsweise einen gewissen Grad an Normalität zurück erkämpfen, finden andere viel eher, dass Humor dann aufhören muss, wenn Leben gefährdet sind.

Der Komiker Bernd Stelter erklärte vor seiner Karnevalsrede am Rosenmontag beispielsweise: „Ich finde, eine Krankheit, eine Seuche, ist kein Thema [für Humor].“  Und auch viele Privatpersonen äußern aus persönlichen Umständen heraus berechtigte Kritik am Versuch, die Risiken des Virus herunterzuspielen. So schreibt eine betroffene Mutter beispielsweise auf Instagram: „Macht ihr ruhig eure Witze. Aber wenn es heißt, dass man daheim bleiben soll, sind unser immunschwacher Sohn und ich die ersten, die sich einschließen.“

Auch auf Twitter wird um Verständnis – aber auch Einordnung gebeten

Die Diskussion ist rege. Und sie wird bisweilen gerne auch aufbrausend geführt. Aus diesem Grund fragen wir uns natürlich ebenfalls, wie viel Emotionalität denn nun in die Berichterstattung gehört. Dürfen wir jeden Ansteckungsfall aufbauschen? Dürfen wir Hamsterkäufe zeigen? Dürfen wir Witze darüber machen? Auch darüber haben wir mit Dr. Rota gesprochen.

Ist es gerade jetzt wichtig, der Situation auch satirisch entgegenzutreten? Darf ‚Humor‘ so weit überhaupt noch gehen?

„Das satirische Aufarbeiten von spannungs- oder furchtgeladenen gesellschaftlichen Themen tut allen gut und ist eine wichtige Quelle der Relativierung von dramatischen Welt- und Medienereignissen. Nicht nur das Individuum, sondern auch Gruppen können sich damit Entspannung verschaffen und die Satire und der Witz stellen eine Distanz zu einem Ereignis her, das dem Einzelnen negative Emotionen oder Sorgen bereitet. Sie erleichtern also das Dasein. [Humor] darf so weit gehen, wie guter gesellschaftlicher Geschmack und die notwendige Toleranz es zulassen.“

Humor gehört als Ausgleich dazu

Dr. Rota erklärt aber auch, dass sich solche Parameter durchaus ändern können. Klar sollte aber immer sein: Witze auf Kosten von Minderheiten, privater Schicksale oder zur Legitimierung von Rassismus sind niemals okay. Und auch nicht lustig. Mit einem Augenzwinkern auf die allgemeine Notwendigkeit des Händewaschens hinzuweisen? Das sollten wir als Gesellschaft allerdings verschmerzen können.

Oder wie sehen Sie das, Dr. Rota? Lachen Sie noch über Corona-Witze?

„Es ist ja fast auch schon wieder Satire, wenn vor lauter Furcht alles todernst genommen wird. Wenn ein Witz gut ist, kann ich durchaus darüber lachen, wenn vielleicht manchmal auch etwas bitter. Ich hoffe, Sie kennen den über die Hamsterkäufe – also den gezielten Aufruf zum Kauf von Hamstern…?“

Und wie wir den kennen! Und weil die Vorstellung davon so süß und unschuldig ist, wollen wir – abgesehen von notwendiger, aufklärender Berichterstattung – mit diesem Bild im Kopf auch gerne schließen.

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