Ich habe meinem Bruder Knochenmark gespendet – und ihm so geholfen, den Krebs zu besiegen. Aber erst mal von vorne: Es war Anfang 2000, mein Bruder hatte gerade sein Abi hinter sich, als es ihm plötzlich gesundheitlich nicht gut ging. Paul* war immer sehr sportlich gewesen, spielte Hockey im Verein, aber plötzlich fiel es ihm sogar schwer, die Treppen zu uns in den dritten Stock hochzugehen.
Die Diagnose folgte ein paar Wochen später: Leukämie. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte, als meine Eltern es mir sagten. Da war dieses Wort, von dem man schon so oft gehört hatte, von dem man wusste, dass das etwas ganz ganz Schlimmes ist. Das sollte jetzt meinem Bruder passieren? Meine ganze Familie stand völlig neben sich. Wir mussten jetzt alle für Paul da sein, so viel war klar. Das sagt sich aber viel leichter, als es wirklich ist, wenn im Prinzip alle Angst vor dieser Krankheit haben und sich wie gelähmt fühlen.
Besonders schlimm war es während Pauls Chemotherapie. Die erste Chemo schlug nicht an. Dann kam die zweite. Jedes Mal, wenn ich meinen Bruder im Krankenhaus besuchte, sah Paul elendiger aus als beim letzten Mal. Seine Haut färbte sich gelb und die Haare fielen aus, aber das war gar nicht das Schlimmste: Viel schlimmer war es, dass Paul immer mehr seinen Willen zu kämpfen verlor.
Einmal, als wir beide allein in seinem Krankenhauszimmer waren, meinte er zu mir, er wisse gar nicht, was das Ganze überhaupt solle. Er würde doch eh nie wieder werden wie früher. „Das wird wieder“, sagte ich so überzeugt, wie es nur geht, wenn dein eigener Bruder dir gegenüber am Tropf liegt. Mir ging es die Zeit über auch nicht gut, meinen Bruder so leiden zu sehen, nur wusste ich nicht wirklich, mit wem ich überhaupt darüber reden sollte. Meine Eltern mussten ja in erster Linie für Paul da sein und wenn ich anderen erzählte, dass mein Bruder Krebs hatte, fragten die natürlich erst mal, was mit Paul war. Ich glaube in der ganzen Zeit, hat nicht einmal jemand gefragt, wie es mir damit ging.
Wir fühlten uns alle ziemlich machtlos. Als auch die zweite Chemotherapie nicht anschlug, sprachen die Ärzte plötzlich von einer Knochenmarktransplantation. Einen passenden Spender zu finden, kann ganze Monate dauern. Wenn man überhaupt einen findet.