„Ich habe meinen Ex-Freund mehr geliebt als meinen jetzigen Freund“

Protokoll: Nina Ponath

Angeblich hat man im Leben drei große Lieben. Ich bin mir da nicht so sicher. Ich glaube ja eher, dass man nur eine wirklich große Liebe hat – und bei allem, was danach kommt, redet man sich nur noch ein, dass dies ebenfalls eine ‚große Liebe‘ sei. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meiner großen Liebe schon vor längerer Zeit begegnet bin und dass es sich dabei – so hart es auch klingt – nicht um meinen jetzigen Freund handelt.

» Trotzdem würde ich ihn nie als meine ‚große Liebe‘ bezeichnen. «

Natürlich liebe ich meinen Freund: Jakob ist seit drei Jahren in den richtigen Momenten für mich da, er hört mir zu, wenn ich ein Problem habe und wir teilen viele Dinge im Alltag. So wie Sport, Freunde, Lieblingsserien, und ich liebe es am Sonntagnachmittag mit ihm faul auf dem Sofa herumzuliegen. Wir können lachen, wir können streiten, so wie es Paare tun sollten. Trotzdem würde ich ihn nie als meine ‚große Liebe‘ bezeichnen.

Das fiel mir so richtig auf, als wir neulich über unsere Ex-Beziehungen redeten. Dass wir beide keine ganz unbeschriebenen Blätter sind, ist für uns völlig okay. Dass ich meinen Ex-Freund mehr geliebt habe als Jakob, wäre für ihn dagegen sicherlich weniger okay und auch ich war ein bisschen erschrocken, als Jakob zu mir meinte: „Das mit uns ist schon etwas Besonderes.“ Und ich mir nur im Stillen dachte: „Ach, ist es das?“

Eigentlich fühlt sich das, was wir haben, eher wie eine ganz normale Durchschnittsbeziehung an. Wir lieben uns, wir unterstützen uns, wir haben gewissermaßen die gleichen Ziele und Träume, aber so etwas ganz Großes ist das nun auch nicht. Vielleicht liegt es daran, wie wir damals zusammen gekommen sind. Jakob hatte mich – ganz unspektakulär – abends im Club angesprochen und mir seine Nummer gegeben. Es dauerte da schon eine Weile, bis ich mich überhaupt bei ihm meldete; so richtig überzeugt war ich nämlich nicht von ihm. Das änderte sich dann nach den ersten Dates, die echt ganz gut liefen. Wir konnten beide auf Anhieb miteinander lachen, was enorm wichtig für mich ist, und dann, irgendwann nach fünf, sechs Dates, hatten wir schließlich auch betrunken Sex, und waren dann irgendwie auf einmal zusammen. Alles ganz unkompliziert und geradlinig wie bei diesen Beziehungen in der siebten Klasse, wo man nach einem gemeinsamen Kinobesuch und einer DVD später, plötzlich einen „festen Freund“ hatte.

» Ich habe Lukas so sehr geliebt, wie ich mir nur vorstellen kann, jemanden zu lieben ... «

Ganz anders war meine Beziehung – meine große Liebe – davor: Lukas und ich waren schon in der Schule gut befreundet und es fing alles als Jugendromanze, inklusive besoffener Abstürze in der Vorstadt-Disko und den emotionalen Folgen, die so etwas mit sich bringt, an. Als ich Anfang 20 war und zum Studieren in eine andere Stadt ging, kamen wir schließlich zusammen. Das alles war ein harter Kampf, dem ein jahrelanges „Besoffen-knutschen-und-sich-dann-doch-nicht-mehr-melden“ vorausgegangen war.

Umso glücklicher war ich, als wir beide dann tatsächlich ein Paar waren und dieses Glück hielt unglaublich lange an: Ich habe mal gelesen, dass man durchschnittlich maximal acht Monate richtig verliebt ist.

Ich kann von mir wirklich behaupten, dass ich länger wie „frisch verliebt“ in Lukas war. Das ging die ganzen ersten zwei Jahre so: Vor jedem unserer Treffen war ich wie aufgedreht und hatte den ganzen Bauch voller Schmetterlinge.

Ich habe Lukas so sehr geliebt, wie ich mir nur vorstellen kann, jemanden zu lieben und ich liebe ihn zumindest als Menschen auch heute immer noch. Auch wenn wir so nichts mehr miteinander zu tun haben. In dem letzten Jahr unserer Beziehung lebten wir uns auseinander. Lukas hing seit zwei Jahren durch und wurde einfach nicht fertig mit seinem Studium, bei mir fing mit meinen Mitte 20 ein neuer Lebensabschnitt an und ich hatte das Gefühl, dass mein Freund einfach nicht mehr mitkam.

Die Trennung fiel uns beiden unheimlich schwer, aber im Nachhinein war sie wirklich das Beste, so sehr zofften wir. Ich mochte mich auch nicht leiden, so wie ich zu Lukas war: zickig, herrisch, gemein. Und ich kann von mir mit gutem Gewissen sagen, dass ich mit der Beziehung heute abgeschlossen habe. Ich hänge meinem Ex-Freund weder hinterher, noch würde ich gern einen Schritt zurück machen. Alles fein so. Nur weil man sich geliebt hat, heißt es noch lange nicht, dass man deshalb zusammen sein sollte. Klar ist Liebe unabdingbar für eine funktionierende Beziehung, aber sie ist nun mal nicht das einzige Element, dass eine Beziehung ausmacht. Dazu gehören noch andere Dinge, wie die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen, den Partner zu unterstützen und gemeinsame Ziele zu verfolgen.

» Ich würde schätzen, dass etwa 80 Prozent aller Ehen nicht die große Liebe sind. «
Paar- und Sexualtherapeut Michael Cöllen

Das bestätigt auch Paar- und Sexualtherapeut Michael Cöllen: „Tatsächlich es so, dass wir alle die große Liebe nur selten durch das ganze Leben behalten. Es ist eher die Regel, nach der großen Liebe eine Art alltagstaugliche Liebe zu heiraten. Die ist wesentlich realistischer, aber auch solider und nicht so geschüttelt von Gefühlseruption. Ich würde schätzen, dass etwa 80 Prozent aller Ehen nicht die große Liebe sind, sondern eine solche gewählt wird.“

Das klingt irgendwie logisch, wenn auch etwas desillusionierend: Wo zu viel Feuer ist, verbrennt man sich auch leicht. Die richtig große Liebe, spannend, voller Leidenschaft, Auf und Abs, wie es bei Lukas und mir der Fall war, ist zu wild, zu ekstatisch, um dem Alltag standzuhalten. Da ist etwas Maß zu halten die bessere Option. Laut Cöllen ist das nur natürlich: „Für eventuelle Kinder-Wünsche eignet sich eine solche Liebe besser“, sagt der Sexualtherapeut. „In der Regel wird deshalb auf Dauer eine eher bürgerliche Liebe als die große abenteuerliche Liebe gewählt.“

Das klingt ziemlich langweilig, aber wenn man ehrlich ist, hat man für großes Drama doch irgendwie auch gar keine Kraft im Leben zwischen Meetings, Einkaufslisten und Familienfeiern. Da reicht Liebe allein nicht, und Liebe allein macht auch noch keine funktionierende Beziehung aus. Man denke nur an sich heiß und innig liebende Paare wie Romeo und Julia, die vor der Alltagsprüfung dahinsterben. Vielleicht ist es ja sogar umgekehrt, und Liebe entsteht erst durch eine funktionierende Beziehung, wenn man sich auf jemanden verlassen kann, von seinem Partner unterstützt wird und eine Konstante im Leben hat, die auch dann noch bleibt, wenn der Rest brennt. Da muss nicht auch noch die Liebe brennen.

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