UK muss ab sofort den Kaloriengehalt auf Speisekarten zeigen – Wollt ihr mich verarschen?

Hinweis: Dieser Artikel hat lediglich eine journalistisch-aufklärende und informativ-unterstützende Funktion. Informationen und Hilfe findet ihr zum Beispiel beim Psychotherapie-Informationsdienst (PID) des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP), auf www.bundesfachverbandessstoerungen.de oder auf der Internetseite www.bzga-essstoerungen.de von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Und gerade als man denkt, es könnte nicht noch selbstzerstörerischer auf diesem Planeten werden, kommt das: Seit dem 1. April wird in London für Restaurants, Pubs und Cafés (die mindestens 250 Mitarbeiter:innen haben) gesetzlich vorgeschrieben, die Speisekarten mit Kalorienangaben zu kennzeichnen! Buffalo Wings als Vorspeise landen dann also beispielsweise bei 1080 Kcal, ein Stückchen Lasagne bei 866 Kcal und ein Käse-Tomate-Panini bei 391 Kcal.

Es sei laut dem britischen Parlament ein Versuch, die gesellschaftliche Fettleibigkeit zu reduzieren, indem man die Restaurants dazu zwingt verleitet, kalorienärmere und dadurch gesündere Mahlzeiten zuzubereiten. In der Hoffnung: Dass diese vermehrt von der Kundschaft angenommen werden. Und scheinbar mit Erfolg: Laut einer neuen Studie in der UK greifen die Menschen demnach vermehrt zu den Gerichten, die einen niedrigeren Kalorienwert aufweisen – allerdings nicht ohne Kollateralschaden!!!

Und deswegen auch direkt meine Frage(n) vorweg: Wollt ihr mich eigentlich verarschen? Haben wir wirklich gar nichts gelernt? Werden uns kalorienreiche Menüs wirklich davon abhalten, weniger „verfressen“ zu sein? Und die Menschen in der UK dazu bewegen, freiwillig in das Rechenspiel der Tageskalorien einzusteigen?! Denn wie sieht es mit EigenverantwortungAufklärung über die tatsächlichen Nährwerte und die Qualität der Lebensmittel aus? Und vor allem auch mit den Ursprüngen der gesellschaftlichen Fettleibigkeit? Müssten wir nicht hier ansetzen? Denn meiner Meinung nach werden mit solchen Aktionen wie dem Kennzeichnen von Kalorien auf Speisekarten lediglich kleine Feuer ausgetreten… während der Brandherd aber weiter im Inferno brodelt. Nur ein Beispiel davon: Essstörungen!!! 🙄

*Zum Verständnis: Eine Essstörung gilt als Überbegriff für eine psychosomatische Erkrankung oder Verhaltensstörung, bei der die ständige gedankliche und emotionale Beschäftigung mit dem Thema „Essen“ eine zentrale Rolle spielt. Essstörungen betreffen die Nahrungsaufnahme oder deren Verweigerung. Die drei häufigsten Essstörungen sind Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und die Binge-Eating-Störung (Esssucht ohne Erbrechen). Erschreckend ist, dass Essstörungen in unserer Gesellschaft – gerade bei jungen Frauen, aber auch Männern –  schon fast so „normal“ geworden sind, sodass viele die Symptome als natürlich abtun, die Gefahr nicht wahrnehmen und sich erst nach Jahren richtig damit auseinandersetzen und Hilfe zulassen. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen 30 bis 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Alter von elf bis 17 Jahren Symptome einer Essstörungen – Tendenz steigend.

» Kalorien auf die Speisekarten zu setzen, wird nur eine toxische Ernährungskultur anheizen und Menschen, die eine Essstörung oder gestörte Essgewohnheiten haben / hatten, werden am meisten darunter leiden. Nicht nur das, die Realität ist, dass eine toxische Ernährungskultur auch Schamgefühle und Selbstvorwürfe bei denjenigen hervorrufen kann, die keine aktuelle Essstörung haben. «
Fine Bauer

Die Kalorienfalle

Damit will ich sagen, dass dieses eigentlich als sehr fortschrittlich angesehene Projekte der britischen Regierung in meinen Augen mehr Rückschritt als Weiterentwicklung bedeutet. Wobei man nur hoffen kann, dass andere Staaten, wie z. B. Deutschland, nicht auf dieselbe Idee kommen! Und ich will euch auch erklären, warum. Also, seid ihr ready für meinen kleinen Monolog, den ich hier leicht schäumend und passiv aggressiv vor meinem Laptop durchspiele? Let’s go!

Und wir fangen ganz vorne an. Bei den lieben Kalorien. Denn ja, es gab tatsächlich mal Zeiten, in denen ich den Kalorienwert sämtlicher Nahrungsmittel wusste. 100 Gramm Snickers: 488 Kcal. 100 Gramm Naturjoghurt: 65Kcal. Und ganze 570 Kalorien verbuchen 100 Gramm Mandeln auf dem böööööösen Kalorien-Tageskonto. Ich wusste über alles Bescheid. Doch diese Zeit ging nicht lange gut. Gerade auch, weil sie von verschiedensten Essstörungen geprägt war, in toxischer Kombination mit dem schlechten Gewissen, das jedes Mal hochkam, sobald die Rechnung mehr als 1600 Kcal ergab. Dazu noch ein mieses Selbstwertgefühl? Der Horror! Ich war völlig im Krieg mit sämtlichen Lebensmitteln, mir selbst, meinem Körper und natürlich der ganzen Welt, denn überall gab’s Essen! Über die Jahre und mit professioneller Hilfe habe ich gelernt, mich weniger zu einer Sklavin dieser kleinen Zahl auf der Rückseite der Verpackung zu machen. Und mich weder für das Nichts-Essen noch Erbrechen zu entscheiden.

Diejenigen unter euch, die selbst mit Essstörungen zu kämpfen haben/ hatten, wissen, von was ich hier schreibe. Jeder hat seine eigenen Erfahrungen gemacht und wird wissen, dass das Aufzeigen (sowie Zählen) von Kalorien ein gefährliches Unterfangen sein kann. Und da sollen die Brit:innen nun jedes Mal durch, sobald sie eine Speisekarte im Restaurant öffnen?

Denn sind wir ehrlich, das gut gemeinte Konzept des Kalorienzählens in Pups und Restaurants zugunsten der Gesundheit bröckelt nur so vor Fehlern. Alleine die Formulierung „zum Wohle der Gesundheit“ – so ein Bullshit! Ja, ein Kaloriendefizit ist ein Anhaltspunkt, um Körpergewicht zu reduzieren. Und ja, Mehrgewicht ist schädlich für den Körper und bringt eine Liste von Risiken mit sich. Der britischen Regierung zufolge sind fast zwei Drittel der Erwachsenen in England übergewichtig. Sicherlich eine Tatsache, die gerade die westlichen Länder auszeichnet.

Doch was landet abseits der Kalorien wirklich auf unseren Tellern?!? Welche Qualität weisen die Lebensmittel auf; wie wurden sie angebaut? Bio, Demeter? Wenn nein, welche Pestizide wurden in welcher Menge verwendet und von welchem Big-Pharma-Konzernen? Wie sieht es mit der Belastung von Schwermetallen aus? Der Haltung und Gesundheit der Tiere, deren tierische Produkte wir in uns aufnehmen? Sind diese vollgepumpt mit Antibiotika? Wie steht es um genmutierte Gemüse- und Getreidesaat und deren Wirkung auf den menschlichen Körper? Oder um Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Bindemittel und sämtliche E’s, die einem auf den Packungen entgegenklatschen?

Ihr merkt sicherlich, worauf ich hinausmöchte! Wie gesund das Essen auf unseren Tellern ist, betitelt nicht alleine die Kalorienangabe! Und wer oben bei den Kalorienangaben von einem Snickers im Vergleich zur gleichen Menge Mandeln genau aufgepasst hat, der sieht die Problematik. (100 Gramm Snickers 488 Kcal; 100 Gramm Mandeln 570 Kcal). Dabei wurde in diesem Fall noch gar nicht mit künstlichem Süßungsmittel wie Aspatran getrickst, das by the way zwar kalorienarmer ist, aber in größerer Menge krebserregend! Also, ihr Lieben, das erste Fazit: Kalorienarm bedeutet nicht immer „nahrhafter“ und gesund!

Hinzu kommt, dass unser Körper kein Ofen ist, der alle Kalorien auf die gleiche Weise verbrennt. Wir essen komplexe Nahrungsmittel, die unseren Stoffwechsel unterschiedlich beeinflussen. Kalorien auf die Speisekarten zu setzen, wird nur eine (bereits breit existierende) toxische Ernährungskultur anheizen. Und Menschen, die eine Essstörung oder gestörte Essgewohnheit haben oder hatten, werden am meisten darunter leiden. Nicht nur das, die Realität ist, dass eine toxische Ernährungskultur auch Schamgefühle und Selbstvorwürfe bei denjenigen hervorrufen kann, die keine aktuelle Essstörung haben! 🔥

» Diejenigen, die in ihrer Essstörung zu viel essen, werden weiter beschämt und für ihr Trauma verantwortlich gemacht, und diejenigen, die sich einschränken, werden weiter ermutigt, ihren schädlichen Bewältigungsmodus zu nutzen. «
Ruth Micallef

Dabei leben wir bereits in einer toxischen Ernährungskultur

Viele Menschen essen, um Wut, Stress oder Einsamkeit zu kompensieren. Oder übersetzt: Um die toxische Lebensweise des 21. Jahrhunderts zu überbrücken! Und damit sind eben nicht selten Essstörungen verbunden. Alleine in Deutschland leiden von 1.000 betrachteten Personen etwa 30 bis 50 an einer Essstörung. Und laut Statista (hier) wurden im Jahr 2019 (in einer Zeit vor Corona) in deutschen Krankenhäusern insgesamt 7.274 Fälle von Anorexie und 1.677 Fälle von Bulimie diagnostiziert. Damit ist die Zahl stationär behandelter Anorexie-Fälle, gemeinhin bekannt als Magersucht, in den vergangenen zehn Jahren um rund 30 Prozent gestiegen. Gestörte Essgewohnheiten werden hier nicht mit aufgeführt. Tja, und jetzt können wir uns nur ausmalen, welche Auswirkungen die vergangen zwei Jahre auf Psyche und Essverhalten zusätzlich hatten… !😖

JD Wetherspoon Speisekarte

In der UK sind die Zahlen sogar noch alarmierender. Zwischen 1,25 und 3,4 Millionen Menschen sind laut Prior (hier) von einer Essstörung oder gestörten Essgewohnheit betroffe. Und es drängt sich immer mehr die Frage auf, ob die britische Regierung an diese Gruppierung in ihrem Vorhaben, Kalorien-Tracking an den Menschen zu bringen, gedacht hat? Wurde unabhängigen (!!!) Expert:innen zugehört, als diese vor den Folgen gewarnt haben? Sieht nicht wirklich danach aus. Jedenfalls haben sich jetzt einige Expert:innen in der UK zu Wort gemeldet, um die Gefahr nochmals hervorzuheben: „Es ist wichtig, die Maßnahmen nicht verallgemeinert zu verteufeln (viele Diabetiker:innen werden wahrscheinlich die Transparenz ihres Kaloriengehalts begrüßen), doch als Expertin für Essstörungen fühlt es sich an, als würde man Feuer mit Feuer bekämpfen“, so Ruth Micallef, Beraterin für Essstörungen. „Indem wir die Fettleibigkeitskrise in Großbritannien einfach auf Kalorien reduzieren, wird die Realität von Essstörungen verharmlost. Die Maßnahmen gehen davon aus, dass Menschen einfach faul, gierig und unmotiviert sind, und baut auf schädlichen Stereotypen auf, die Menschen aufgrund von Schamgefühlen daran hindern, die Unterstützung zu bekommen, die sie wirklich brauchen. Diejenigen, die in ihrer Essstörung zu viel essen, werden weiter beschämt und für ihr Trauma verantwortlich gemacht, und diejenigen, die sich einschränken, werden weiter ermutigt, ihren schädlichen Bewältigungsmodus zu nutzen.“ 👏

So sieht es aus, liebes britisches Parlament! Und falls jemand aus dem Deutschen Bundestag das hier lesen sollte und ebenfalls mit der glorreichen Idee spielen sollte, das Kalorien-Tracking in Deutschland einzuführen, dann lasst euch das eine Lehre sein und fangt bitte vorher mit wirklich gesundheitsbringenden Lösungsansätzen an!

Und eins noch: Kontrolle, Zwang und Bevormundung wirken sich nie positiv auf eine Gesellschaft aus! Lediglich Aufklärung und ein breites Bewusstsein können es schaffen, nachhaltige Veränderungen mit sich zu bringen. Zum Glück scheinen einige Restaurants, das Kalorien-Tracking ebenfalls als „schwierig“ zu empfinden und haben sich verpflichtet, weiterhin kalorienfreie Versionen ihrer Menüs anzubieten. Wagamama sagte beispielsweise, dass sie die neuen Gesetze zur Kalorienkennzeichnung einhalten, aber weiterhin ein Menü ohne Kalorien anbieten werden, da jedermanns Beziehung zu Lebensmitteln unterschiedlich ist“. Und sie gehen noch weiter: „Da die Kalorienkennzeichnung für alle Speisekarten in der Hauptstraße obligatorisch wird, ist die Rolle der Aufklärung darüber, wie Ernährung über das bloße Kalorienzählen hinausgeht, wichtiger denn je.

Schön und gut, doch wie wär’s mit …

So und was jetzt? Wie sehen wirkliche Lösungsansätze aus, um eine Gesellschaft in eine gesündere Richtung zu leiten? Ruth schlägt vor, zu versuchen, das auferlegte System auszugleichen, indem wir unser „Verständnis dafür vertiefen, was es bedeutet, wirklich intuitiv mit Essen umzugehen“. Und uns wirklich mit uns selbst und unserer Beziehung zu Nahrung und unserem Körper vertraut machen. „Hat man selbst eine Essstörung oder übt sich an gestörten Essgewohnheiten? Wenn die Antwort Ja lautet, ist es an der Zeit, sich die Unterstützung zu suchen, die man selbst verdient.

Absolut „wichtig und richtig“ für diejenigen, die bereits mit Essstörungen zu leben haben. Doch was ist mit den Ursachen? Den Wurzeln für unsere toxische Lebensweise und Ernährungskultur? Wieso sind wir als Gesellschaft oft fettleibig, unglücklich, depressiv und letztendlich ungesund? Weshalb kommentieren Menschen durch Essen ihren Alltag? Wir benötigen weit aus mehr als nur das Austreten kleiner Feuer‼️

Wie wäre es also zum Beispiel mit einer (lobbyfreien) Aufklärung über Ernährung und Diäten, einem Verständnis für die Herstellung von Nahrungs- und Lebensmitteln, die bereits im Kindergarten und der Schule fest integriert wird? Als Unterricht in Garten- und Gemüseanbau, Kräuter und Naturkunde, dem Besuch von unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betrieben und Fabriken. Zeigt den Menschen im Detail, wie Süßigkeiten und Softdrinks produziert werden! Nur wenn wir verstehen, wie und woher etwas kommt, können wir nachvollziehen, was wirklich auf unseren Tellern und letztendlich in uns selbst landet! Wusstet ihr, dass wir in großen Supermärkten eine Auswahl an rund 170.000 verfügbaren Nahrungssmittelprodukten haben? Doch wusstet ihr auch, dass dabei unsere Ernährung vorwiegend aus LEBENSmitteln bestehen sollte und NAHRUNGSmittel die Ausnahme sein sollten?! Kurz zur Erklärung: Lebensmittel sind gar nicht oder nur wenig industriell verarbeitet, wie Früchte, Gemüse, Eier, Quark und Getreide. Daher sind sie frisch und entsprechend schnell verderblich. Lebensmittel sind es, die unseren Körper nähren. Unter Nahrungsmittel hingegen zählen Nudeln, Reis, H-Milch, Raffinierte Öle oder z. B. die Tiefkühlpizza! Dieses Verständnis schafft Veränderungen und hilft, aus dem Teufelskreis auszubrechen! Das sollte ja schließlich das Ziel sein, oder etwa nicht?

Und zum Abschluss bekommt ihr noch einen meiner Lieblings-Sprüche: Traue nie einer Studie, die du nicht selbst gefälscht hast. Denn wirklich solide Beweise (Langzeit-Studien, etc.) dafür, dass das Kalorien-Tracking-System als Kampf gegen die „Fettleibigkeitskrise“ und Gesundheitsbelastung in Großbritannien hilft, gibt es nicht. Dafür in Amerika, wo seit 2014 dasselbe System eingeführt wurde: „Diese Politik ist in den USA seit über einem Jahrzehnt in Kraft und hat sich nicht als besonders effektiv erwiesen, um die Ernährungsgewohnheiten der Menschen zu ändern oder die ‚Adipositas-Epidemie‘ einzudämmen„, sagt Dr. Alexis Conason, Autor von The Diet Free Revolution.

In diesem Sinne: Amen! 🙏

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