trèsCLICK-Kreuzverhör: Eine Intensivkrankenschwester stellt sich 20 fiesen Fragen und Vorurteilen

Notbremse, 3. Welle, Inzidenz-Werte, Infektionsschutzgesetz, Impf-Chaos … wem hängt’s noch absolut zum Hals raus?! Ich muss zugeben, ich komme mit dem ganzen Nachrichten Wirrwarr nicht mehr mit und kriege Pickel, wenn mir einer der oben genannten Begriffe entgegenschießt. Es ist ermüdend, schlauchend, zum Ausrasten, nicht gut für die mentale Gesundheit … ich könnte hier ewig weitermachen.

Doch wir können vor den Corona-Folgen der Erkrankten, vor der Psyche jedes Einzelnen, vor dem finanziellen Ruin einiger Berufsgruppen und der maßlosen Überforderung des Pflegepersonals nunmal nicht die Augen verschließen (auch wenn ich mich gedanklich gerne in den Australien-Urlaub 2016 träume 🙃). Vor allem bei letzterem sollten wir unsere Eyes nun ganz weit aufreißen und am besten noch eine Brille aufsetzen: Denn hingegen der Diskussionen, Fake-News, Querdenker etc., herrschen auf den Intensivstationen unserer Krankenhäuser Zustände, die niemand von uns einfach so aushalten könnte. Bevor ich mich hier allerdings auf die nächste verwirrende Statistik stütze, habe ich eine Intensivkrankenschwester, anonym as always, in unser knallhartes Kreuzverhör genommen und mal abgecheckt, was wirklich abgeht.

Katharina (Name geändert), 27, ist examinierte Gesundheits- und Krankenschwester mit der Fachweiterbildung für die Intensivstation. Während Corona hat sie zehn Monate im größten Krankenhaus Hamburgs als Intensivkrankenschwester gearbeitet. Mittlerweile ist Katharina in eine Leitungsposition in einem anderen Bereich gewechselt und hat dort aber immer noch mit Covid-Patient*innen zu tun, jedoch mit mehr Gehalt.

So, nun genug mit dem Gelabere und let’s go! 💥

Eine Intensivkrankenschwester spricht Klartext

1. TC: Wie hat sich der Arbeitsalltag seit Covid verändert?

Katharina: Am Offensichtlichsten sind die Schutzmaßnahmen, samt Ausrüstung. Außerdem war es neu, permanent eine FFP2-Maske zu tragen und damit körperlich zu arbeiten. Ansonsten ist seither wirklich jeder Tag auf der Intensivstation komplett anders.

2. Was hast du als Intensivschwester verdient?

Als Intensivschwester habe ich mit Fachweiterbildung 2.600 € netto verdient. Klingt erstmal viel, doch ihr dürft nicht die beinhalteten Zulagen vergessen: Nachtdienst, Wechselschicht, Wochenenddienste und Feiertage.

3. Herrscht eine verängstigte Stimmung auf Station?

Verängstigt sind wir lediglich von der Intelligenz der Mitmenschen: Eine große Familienfeier zum Geburtstag und der Onkel verstirbt dann Wochen später auf der Intensivstation – Mensch, hoffentlich war es die Party wert! Oder die Enkelin infiziert sich beim Treffen mit Freunden und schleppt es zu den Großeltern – Surprise, auch hier kein Happy End!

4. Gibt es eine Art Hintertürchen oder Trick, wie man als Angehörige/r trotz Corona-Regeln doch Verwandte im Krankenhaus besuchen kann? 

Jedes Haus hat seine eigenen Besuchsregeln. Am gängigsten ist es, dass lediglich Kinder, geistig eingeschränkte oder sterbende Patienten Besuch erhalten dürfen. Da führt auch kein Weg dran vorbei. Wenn man jemandem etwas zukommen lassen möchte, wie Kleidung oder Lesestoff, kann man dieses an der Pforte abgeben. Vom Pförtner über die Auszubildende bis zum Chefarzt – da stelle ich mir eine Bestechung wahnsinnig teuer und gar unmöglich vor. Gleiches Recht für alle! Es zerreißt einem das Herz, doch es kamen die meisten Infektionen im Krankenhaus durch Besucher zustande und dieses Risiko möchte niemand mehr tragen. Einige Patienten warten zum Beispiel ein Jahr lang auf ein Spenderherz. Hart genug, dass sie die Station nicht verlassen können, durch Covid erhalten diese auch keinen Besuch.

5. Wie hoch ist die Gefahr, dass sich das Pflegepersonal ansteckt?

Seit der Bereitstellung von Impfungen sinkt sie zum Glück massiv. Vorher fielen wir alle um wie die Fliegen. Ob Reinigungspersonal, ärztliche Kollegen oder pflegerische Kollegen – jeder Tag wurde zum Roulette-Spiel.

 6. Gab es besonders einschneidende Erlebnisse auf der Intensivstation?

Alle Covid-Patienten wurden in der ersten Welle in unser Haus verlegt und dazu mussten wir Patienten aus dem Ausland aufnehmen. Unser Team dezimierte sich schnell und Kollegen aus anderen Klinik kamen zur Hilfe. Das Gefühl, dass alle Berufsgruppen im Krankenhaus einander beistehen und helfen, war grandios!

7. Hast du viele Corona-Verluste erleben müssen? Wie geht man damit um?

Der Tod war logischerweise schon vor Covid präsent und gehört zu unserem Beruf. Schockierend, doch jedes Leben endet einmal. Ob Hebamme, Ärztin oder Pflegekraft, jeder findet seinen persönlichen Weg, damit umzugehen: Sei es der Glaube, Gespräche mit Vertrauten, psychologischer Unterstützung, oder, oder, oder. Covid kam geballt: Viele starben auf einen Schlag und man wusste nicht, was man dagegen tun kann. Doch es gibt auch noch andere unerforschte Erkrankungen, an denen täglich Menschen sterben.

8. Wie sehr schlägt die Situation auf die Psyche? Gibt es in der Hinsicht Unterstützung?

Auf die Psyche schlägt mir, genauso wie allen anderen, die gesamte Situation mit der Pandemie. Die Psychologen der Kliniken sind komplett ausgebucht.

9. Was änderte sich mit der Impfung?

Es war endlich ein Hoffnungsschimmer! Halleluja, danke an alle Kollegen der Forschung!

 10. Was sagst du zum Impfchaos? Wie gefährlich ist AstraZeneca wirklich?

Das Impfchaos gab es vorher schon, jetzt wird ausschließlich über einen Stoff diskutiert. Ich kenne viele, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen. Genauso habe ich schon einige Erwachsene mit einer Maserninfektion in den Tod begleitet oder als Pflegefall aus dem Krankenhaus rollen sehen. Es wird immer Pro und Kontra geben, ich vertraue jedoch der modernen Medizin. Viele lassen sich auf Empfehlung vor einer Auslandreise nach Asien oder Afrika impfen, ohne zu Fragen – Arm frei und ab dafür! Bei einer Covid-Impfung schreien nun viele von denen auf. Sobald andere Länder nur Geimpfte einreisen lassen, werden sich viele doch impfen lassen. Ich wurde mit dem Pfizer-Impfstoff geimpft, viele Kollegen mit AstraZeneca. Wir alle leben, uns ist bisher auch noch keine dritte Brust gewachsen. Kolleginnen wurden auch trotz Impfung schon schwanger. Im Endeffekt entscheidet jeder über seinen eigenen Körper.

11. Fühlst du dich in deinem Job genügend wertgeschätzt?

Ha! Von meinem privaten Umfeld, einigen Patienten und Angehörigen schon, aber sonst …. Manchmal fühlte ich mich wie Kanonenfutter: Wir mussten zum Teil ohne Schutzmaßnahmen arbeiten. Ein Feuerwehrmann springt auch nicht ungesichert die Klippe runter! Mein ehemaliger Arbeitgeber hat keinen Covid-Bonus gezahlt, aber Brotdosen oder Thermoskannen nach Hause geschickt. Das Porto hätte man sich sparen können. Danke für nichts!

12. Was kann der Staat oder die Politik tun, um deinen Beruf mehr wertzuschätzen?

Mehr Personal! Ich will keine 1000€ im Monat mehr, sondern mich gewissenhaft um jeden Patienten kümmern können. Ich möchte nie wieder mit diesem Gedanken in den Feierabend gehen: Scheiße, mit mehr Zeit hättest du so viel für den Patienten tun können, was ihn in seiner Therapie weiterbringt. In Deutschland haben wir das DRG System: Eine Oma mit einer Lungenentzündung liegt ca. zwei Wochen auf Station, ein junger Mann ca. eine Woche. Für beide Fälle gibt es jedoch dieselbe Summe. Da müssen die Häuser aufpassen, um nicht in die Miese zu geraten.

13. Was können wir als Bürger*innen tun, um deinen Job mehr wertzuschätzen? Was sagst du z.B. zum Klatschen?

Das Klatschen war mir irgendwie unangenehm, ich mache auch nur meinen Job. Trotzdem fand ich die Idee nicht schlecht und habe mich zum Teil auch gefreut. Es sollten sich alle bewusst sein, dass wir nicht nur Fäkalien wegmachen. Wir können euer Leben retten und in den dunkelsten Stunden ein Licht sein.

14. Wie schätzt du den Umgang mit der Krise, beziehungsweise die Maßnahmen, ein?

Die Maßnahmen waren teilweise ein Witz. Als ob Covid Weihnachten Urlaub gemacht hätte – Alle haben sich besucht und uns war allen klar, was passiert. Die Stationen liefen wieder voll. Wir hätten viel früher einen harten Lockdown gebraucht und wirklich nur zum Job oder Einkaufen raus gesollt. Ende! So nervig es auch ist.

 

15. Hast du wirklich mehr zu tun als vor Corona oder ist das von den Medien aufgebauscht?

Wir haben mehr zu tun, anfänglich, weil uns das Personal fehlte. Dann wurde man sich immer bewusster, wie der Infektionshergang ist. Somit wurden die Schutzmaßnahmen immer weiter erhöht und das frisst Zeit. Also ja, wir haben mehr zu tun.

16. Was sagt du generell zur Berichterstattung der Medien?

Auch die Medien waren überfordert, es gab immer neue Erkenntnisse. Trotzdem wird eine extreme Panik verbreitet – man muss ja nicht immer der Zeitung mit den vier Buchstaben glauben. Ich habe wochenlang nichts mehr gelesen oder Nachrichten gesehen. Ich konnte das Thema Covid einfach nicht mehr hören: Wer wieder was besser wissen will, wer jetzt Top-Virologe ist, welcher Politiker die Situation wieder zum Wahlkampf ausnutzt …

 

17. Verschwörungstheoretiker sagen, dass Ärzte einen Bonus für Corona-Tote bekommen? Hast du schon mal mitbekommen/gehört, dass da für das Geld geschummelt wird?

Nein, da gibt es kein Geld. Ich frage mich auch, von wem das bezahlt werden sollte?!

18. Was würdest du Verschwörungstheoretikern und Querdenkern gerne sagen?

Sucht euch ein Hobby und lasst uns in Ruhe arbeiten! Wie geschmacklos ist es, in den sozialen Medien zu hinterfragen, ob es wirklich Covid-Tote gibt? Wie respektlos kann man Verstorbenen und Hinterbliebenden gegenüber sein?! Berichtet in euren Foren bitte mal von den Fällen, die einige Tage nach der Querdenker-Demo beatmet bei uns lagen. Sowas verschweigt ihr Spinner nämlich merkwürdiger Weise.

19. Würdest du mit dieser Situation eine andere Jobwahl treffen, wenn du könntest?

Nein! Meine Eltern oder ältere Kollegen haben mich vor den Herausforderungen gewarnt. Ich liebe jedoch meinen Beruf. Natürlich hätte ich BWL studieren und mit Zahlen jonglieren können, doch würde es mich erfüllen? Ne. Ich wünsche es jedem, einen Beruf zu finden, der einem Spaß macht und den man liebt.

20. Gibt es noch etwas, was dich einfach aufregt?

Letztes Jahr haben wir gestreikt und in den sozialen Medien durfte man von vielen lesen, dass es keine unangebrachtere Zeit für einen Streik hätte geben können. Geht’s noch?! Erst klatschen und wenn wir für mehr Personal und bessere Bedingungen auf die Straße gehen, sind wir die Bösen? Reflektiert alle mal euer Verhalten.


Agreed! 👋🏻

Credits: Giphy, Unsplash, Instagram/elhotzo, Instagram/twitterperlen

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