Sorgt genderneutrale Sprache für mehr Gerechtigkeit… oder wird da was überbewertet?

Neulich habe ich einen Artikel gelesen. Er ist bei Spiegel Online erschienen und wurde von Margarete Stokowski geschrieben. Eine der Journalistinnen, die ich immer schon zu meiner Fellow-Feministinnen-Bubble zählen würde. Diesen Erwartungen muss sie natürlich keinesfalls gerecht werden – und natürlich darf man sich auch innerhalb von Bewegungen uneinig sein. Die Überschrift des Artikels hat mir dann aber doch einen Stich versetzt: „Gendersprachen und Vorstandsquoten, nichts könnte mir egaler sein.“

Autsch, dachte ich mir da kurz (ohne den Artikel überhaupt gelesen zu haben). Denn das schien genau in die Kerbe zu schlagen, die in letzter Zeit wieder häufiger zu hören ist. Nämlich: Sorgen Gender-Sternchen und -Doppelpunkte wirklich für mehr Gerechtigkeit… oder machen wir uns damit nur die Sprache kaputt?

Kurzer Spoiler vorweg: Margarete Stokowski führt natürlich weit mehr in ihrem Artikel aus, als die Überschrift vermuten lässt. Von meinem Schrecken haben ich mich also schnell wieder erholt.

Der Gedanke ist dennoch geblieben… und hat sich irgendwie festgesetzt. Denn war Sprache nicht immer schon im Wandel? Und sollten betroffene Personen (also FINTA*: Frauen, Inter, Nicht-Binär, Trans, Agender) nicht selbst entscheiden dürfen, ob sie sich nun „mitgemeint“ fühlen, oder nicht? 

Sorgt Gendern denn nun für mehr Gerechtigkeit?

Dass es so einfach nicht sein kann, zeigt die aktuelle Debatte. Denn Pro- und Contra-Argumente gibt es natürlich auf beiden Seiten. Dass die Sprechweise Generationen trennt und nicht schön anzusehen ist, wird am häufigsten  als Gegenargumentation angeführt. Damit kann ich leben. Viel schmerzlicher ist für mich der Vorwurf, dass mit diesem Kampf vor allem von anderen Problemen abgelenkt wird. Auch Margarete Stokowski äußert diesen Vorwurf. Nicht die Verwendung einer geschlechtsneutralen Sprache ist also das Problem… sondern die politische Debatte darum.

Oftmals sind die Frauen, die am stärksten von Ungleichheiten betroffen sind, nicht diejenigen, die am Diskurs beteiligt werden… oder selbst gendern. Im Gesamten betrachtet ist dieser sprachliche Aspekt also wohl ein ziemlich kleiner. Die inkludierende Schreib- und Sprechweise löst weder die Gender-Pay-Gap auf, noch findet dadurch weniger häusliche Gewalt statt.

Und dennoch müssen wir uns damit auseinandersetzen. Denn Fakt ist auch: Mit einer eindeutigen Inkludierung aller Geschlechter fühlen sich mehr Menschen angesprochen. Diese These ist mittlerweile wissenschaftlich erforscht und in Studien belegt. Gerade bei Kindern kann das einen großen Unterschied machen. Mädchen sehen sich eher in Berufen, wenn auch die weibliche Berufsbezeichnung genannt wird (mehr dazu hier). Junge Menschen trauen sich mehr zu, wenn die Sprache ihnen gleiche Voraussetzungen zuspricht. Und sollte genau DAS nicht unser Ziel bei der ganzen Sache sein?

Jede Veränderung braucht Zeit

Natürlich fällt es schwer, die sprachliche Umstellung im Alltag konsequent durchzuziehen. Auch ich selbst spreche im privaten Rahmen meist noch ohne *in. Weil es halt einfach… gewohnter ist. Und trotzdem bleibe ich dabei: Gerade in schriftlichen Texten, im beruflichen Kontext, bei der Erziehung oder im Umgang mit Kindern kann eine genderneutrale Ansprache viel bewirken. Wir machen also nicht einfach unsere Sprache kaputt – wir gewinnen neue, gerechtere Aspekte dazu. Denn, nein, die bisherige Schreibweise ist eben nicht neutral – sie wurde nur irgendwann einfach als allgemeingültig festgelegt.

Babysteps oder Hamsterrad?

Dennoch – und das sage ich ganz bewusst erst jetzt – macht auch mich die Diskussion manchmal müde. Einigen Gegenstimmen gebe ich also durchaus recht: Gerade so kurz vor der Bundestagswahl lenken Themen wie dieses von viel wichtigeren Meilensteinen ab. Die CDU will „das Gendern“ nun also verbieten (mehr dazu hier). Okay. Die Grünen wollen es dagegen im Beamtendeutsch sehen. Auch okay. Diese Ansichten polarisieren… sie lassen aber vor allem Diskussionen über finanzielle Abhängigkeiten oder gerechtere Care-Arbeit untergehen. Wie steht dazu denn eigentlich die Partei, der ich im September mein Kreuzchen geben will?

Ihr seht: Es ist alles nicht so einfach. Und das war es auch noch nie. Veränderung braucht Zeit. Sprache wandelt sich nicht in wenigen Tagen, aber vielleicht ja in wenigen Generationen… Genau dafür lohnt es sich, dranzubleiben. Damit die Kinder der heutigen Zeit in dreißig Jahren ungläubig den Kopf schütteln und nicht glauben können, dass früher nur von Männern die Rede war.

Uns wird nichts weggenommen…

Wir machen die Sprache nicht kaputt. Wir gewöhnen uns an eine neue Form. Und die muss sich von alleine finden. Also sprecht gendergerecht – oder lasst es bleiben. The individuelle Entscheidung is yours. Damit wir weitermachen können. Damit andere Themen wieder Raum bekommen. Unnötig ist diese feministische Arbeit, meiner Meinung nach, auf keinen Fall. Es dürfen daneben aber auch noch zahlreiche andere Themen existieren. Und damit kann ich jetzt hoffentlich auch wieder Fünfe gerade sein lassen. Sprache ist nicht alles. Aber sie formt unser Sein. Und damit ist sie ein entscheidendes Werkzeug. Dass ich auch zukünftig nutzen werde – ohne großes Aufsehen. Naja, nach dem Schlusssatz dieses Artikels jedenfalls wieder. Denn ganz kurz musste ich jetzt doch mal meinen Senf dazu in die Zeilen tippen. Ab jetzt gibt’s wieder mehr Love und Glitter. Versprochen, lovely Leser*innen.

… im besten Fall bekommen wir etwas dazu

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