Taylor Swifts „Anti-Hero“-Video wurde als „fettphobisch“ gebrandmarkt – aber ist das wirklich fair?

Ein neuer Rekord, Spotify kurzzeitig lahmgelegt und ein Shitstorm an nur einem Tag – Jap, Taylor Swifts (32) neues Studio-Album „Midnight“ ist gerade in aller Munde! Und dort sorgt es leider nicht nur für positive Stimmen. Wie, was, wo, fragt ihr euch?! Immerhin waren doch alle Fans so super heiß auf das neue Album der 32-Jährigen, das binnen 24 Stunden auf Spotify einfach mal so häufig gestreamt wurde wie kein anderes zuvor?!! Richtig. Und trotzdem sorgt die Lead-Single des Albums, „Anti-Hero“, aktuell für ordentlich Negativ-Schlagzeilen. Der Vorwurf: Viele Fans werfen der Sängerin Fettphobie vor!

Fetten Menschen muss nicht noch einmal von Taylor Swift vor Augen geführt werden, dass es der schlimmste Albtraum aller ist, so auszusehen“, so nur einer der vielen Kommentare im Netz. Aber ist das wirklich fair?

„Anti-Hero“

Um das zu beantworten, fangen wir vorne an. Taylor beschrieb den dritten Song auf ihrem neuen Album schon in einigen Interviews als einen der liebsten, den sie je geschrieben hat. In „Anti-Hero“ geht es unter anderem um den Kampf mit ihrem Impostor-Syndrom (Selbstzweifel bezüglich der eigenen Leistung). Sie thematisiert darin Dinge, die sie in ihrem Leben bereut! Aber auch ihre Depression, ihre dunkelsten Ängste und ihre Zukunft werden in dem Song musikalisch und künstlerisch von ihr dargestellt. Die Lyrics It’s me, hi, I’m the problem, it’s me” hallen mir jetzt noch deutlich nach.

In dem Video zu dem Lied, wegen dem die Künstlerin nun beschuldigt wird, darin „fettphobe“ Botschaften zu fördern, sehen wir Taylor in einem Haus. Sie rennt vor Geistern weg, die sie selbst mal geghostet hat. Sie geht sich selbst auf die Nerven und zum Schluss ist sie sogar Gast bei ihrer eigenen Beerdigung. Taylor stellt die drei Hauptprobleme durch drei verschiedene Charaktere dar, die alle von ihr selbst verkörpert werden. Eine Taylor stellt sich ihren Depressionen. Eine weitere Taylor verkörpert die einsame Pop-Persönlichkeit, die niemandem vertrauen kann. Die dritte ist eine Taylor, die sich unwohl und fehl am Platz fühlt.

Und nun kommen wir zu dem Punkt, mit dem die Sängerin gerade aneckt. Denn mitten im Musikvideo sehen wir, wie Taylor auf eine Personenwaage steigt und dort die Skala mit der Aufschrift „FAT“ (anstelle einer Zahl zwischen ihren Füßen) erblickt. Und schon schüttelt ihr glamouröses Double enttäuscht über sich selbst den Kopf. 😥 Und genau an dieser Stelle fühlen sich einige Fans ganz schön angegriffen von ihrem Vorbild. Eine Twitter-Userin, die als Therapeutin für Essstörungen auftritt, schrieb beispielsweise: „Taylor Swifts Musikvideo, in dem sie auf die Anzeige hinunterschaut, auf der ‚fett‘ steht, ist eine beschissene Art, ihre Probleme mit dem Körperbild zu beschreiben. Fetten Menschen muss nicht noch einmal vor Augen geführt werden, dass es der schlimmste Albtraum aller ist, so auszusehen.“ Der Tweet hat bisher über 40.000 Likes gesammelt.

Eine weitere Twitter-Userin merkte an: „Es gibt keine Erklärung dafür, Fettleibigkeit als schlecht und als etwas zu befürchten, das den Hass auf dicke Menschen nicht rechtfertigt. Die Angst vor Fettleibigkeit ist ein grundlegender Höhepunkt der Funktionsweise von Fettphobie. Eine Essstörung zu haben, macht sie nicht von diesem Schaden befreit, einschließlich Taylor Swift.

Fettphobie in Taylor Swifts „Anti-Hero“?

Ziemlich deutliche Worte. Aber wie seht ihr das? Ist Taylors Darstellung im Musikvideo zu „Anti-Hero” fettphobisch? Ich verstehe durchaus den Schmerz und die Argumente, die für eine Darstellung von Fettphobie sprechen könnten. Und trotzdem sehe ich das Ganze etwas anders. Ich finde die Vorwürfe Taylor gegenüber sogar unfair, wenn ich ehrlich bin. Tanz, Musik und Kunst sind Ausdruck unserer Persönlichkeit und an diesen Werkzeugen bedient sich Taylor, um ihre eigenen Kämpfe, Ängste und Wünsche darzustellen. Es ist ihre Story, ihr Schmerz, ihre Erfahrung in der Musikbranche und ihre eigene Wahrnehmung davon! Auf Instagram (hier) sagte die Sängerin in einem Interview, dass das Musikvideo ihre „Albtraumszenarien und aufdringlichen Gedanken in Echtzeit“ zeige.

Die umstrittene Szene ist eine Anspielung auf ihre Essstörung, die sie 2020 auch schon in ihrer Dokumentation „Miss Americana“ ihren Fans offenbarte: „Ich neige dazu, von etwas getriggert zu werden, sei es ein Bild von mir, auf dem ich das Gefühl habe, dass mein Bauch zu groß aussieht (…). Das bringt mich dazu, ein bisschen zu hungern.“ Ja, die elfmalige Grammy-Gewinnerin sprach in den vergangenen Jahren mehrfach offen über ihre Essstörungen und den (Schönheits-)Druck, dem junge Frauen in der Musik- und Filmbranche ausgesetzt sind. Und eben diesen Kampf gegen ihre inneren Dämone hat sie nun in „Anti-Hero” künstlerisch mit einer Waage zum Ausdruck gebracht. Wie denn auch sonst, Leute?

Ein Punkt, den wohl viele ähnlich sehen. Einige Fans verteidigten Taylor nach dem Shitstorm sofort und wiesen darauf hin, dass die 32-Jährige in der Vergangenheit bereits offen erklärt habe, mit Essstörungen zu kämpfen: „Jeder, der sagt, dass Taylor Swift in ‚Anti-Hero‘ fettphob ist, hat sich das Lied eindeutig nicht wirklich angehört. Zu sagen, dass sie nicht so über sich selbst denken kann, weil sie ‚dünn‘ ist, ist SUPER problematisch.

Das Musikvideo endet übrigens damit, dass sich alle drei Taylor Swifts gegenseitig unterstützen, weil sie einsehen, dass ständige Spaltung nur zu noch mehr Spaltung (mit sich selbst) führt und dass wir einfach keinen Einfluss darauf haben, wie andere uns wahrnehmen. Denn nur wir selbst können bestimmen, wie wir uns selbst wahrnehmen. Und von was wir uns triggern lassen oder nicht. Denn was uns triggert, ist etwas, das meistens tief in uns selbst liegt und von uns selbst negativ beurteilt wird!

Also Leute, können wir bitte damit aufhören, uns überall gegenseitig anzugreifen, nur um die Emotionen der eigenen Triggerpunkte abzulassen?! Es ist einfach nicht richtig, mit dem Finger auf eine Künstlerin zu zeigen, die ein Symptom der problematischen Körperbildkultur ist, in der wir alle leben. Ich weiß, das ist wieder mal ein schwieriges Thema. Nicht wegen der Situation an sich, sondern wegen der vielen Emotionen, die sich darin verstecken und das Fass schnell zum Überkochen bringen können. Mein Tipp an alle also: Wer für Akzeptanz und Toleranz plädiert, sollte dies ebenso bei anderen Menschen anwenden. 😉

Hier geht’s zur neuen Single „Anti-Hero” aus Taylor Swifts neuem Album „Midnight“:

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