Traurig, aber wahr: New Yorker Hipster tragen Hakenkreuz-Tattoos

Deborah Landshut hat uns als unsere offizielle NYC-Korrespondentin bereits die allerallerneuesten Fashion-Week-Trends gezeigt, uns mit zu den leckersten Brunch-Spots genommen und mit dem coolsten Tätowierer gesprochen. Und das war noch lange nicht alles: Ab sofort wird sie uns monatlich über alles, was ihr so im Big Apple passiert, auf dem Laufenden halten. Von crazy Dating-Storys, über krasse Realitätscrashs bis zu den Backstreet Boys ist alles dabei … Diesmal geht es um ein Tattoo, das es niemals geben dürfte.

Tattoos sind Mittel zum Selbstausdruck. Aber dieser neue Trend geht zu weit.

#EmpireStateOfMind: Hakenkreuze in New York

Heute ein sehr sensibles Thema: Hakenkreuze in New York. Ja, ihr habt richtig gelesen! Wie ich in meiner letzten Kolumne schon berichtete, hatte ich kürzlich Besuch von einer Freundin aus Hamburg, die sich neben den tollen und verrückten Erlebnissen auch eine Erinnerung für immer (zumindest für die nächsten Jahre) von New York mit nach Hause nehmen wollte – ein Helix Piercing.

Klar, dass ich sie zum besten Piercer in der Stadt schleppe – ein Studio von einer Schmuckkünstlerin, die vor allem für ihren außergewöhnlichen Piercing-Schmuck bekannt ist, der gerne um die 500 bis 1.000 Dollar (und noch mehr) kostet und von Bloggern weltweit geliebt wird. Es geht allerdings auch deutlich günstiger, nur dann ist der Schmuck nicht so aufregend. Meine Freundin Valentina entschied sich für einen weniger teuren Ring, schließlich war es ihr vorletzter Tag und wir haben ihre Restkohle gerade für ein Mini-Céline-Portemonnaie bei Kirna Zabete verprasst.

Piercing ausgesucht, Formular ausgefüllt, gezahlt. Valentina wurde nach oben zum Piercer geschickt und als moralische Unterstützung kamen Barney und ich natürlich mit. Während wir auf der Warte-Couch saßen und der Piercer bei offener Tür gerade den Kunden vor uns Körperschmuck verpasste, tippt mich Valentina auf einmal langsam an und deutete mit weit aufgerissenen Augen auf die volltätowierten Beine des Piercers, die er uns in Shorts zur Schau stellte.

„Er hat Hakenkreuze auf dem Beim“ flüsterte mir Valentina geschockt zu. Ich schüttelte den Kopf und versuchte mir möglichst unauffällig selbst ein Bild davon zu machen, schließlich fand ich das mehr als absurd. Aber Tatsache: der volltätowierte Piercer hatte auf seiner volltätowierten Wade vier kleine rote Hakenkreuze. Sprachlos und schockiert starrten Valentina und ich uns gegenseitig und die Beine des Typen an. „Ich weiß nicht, ob ich mich von dem piercen lassen möchte“, flüsterte mir Valentina zu, als sie wieder Worte gefunden hatte. An dieser Stelle muss ich vielleicht noch kurz erwähnen, dass Valentina von ihrer deutsch-jüdischen Freundin – mir – zu diesem Piercer nicht nur begleitet wurde, ich habe ihr den Laden auch empfohlen. Schockiert wussten wir immer noch nicht, was wir sagen und machen sollten. Für Valentina war aber klar, dass sie sich nicht wortlos von einem Piercer mit Hakenkreuzen auf den Beinen ein Piercing stechen lassen kann, das sie die nächsten Jahre begleitet, während ihre jüdische Freundin im Wartezimmer sitzt. Absurder geht es nicht.

» Er hat Hakenkreuze auf dem Bein «

Sie entschloss sich nach unten zu gehen, um mit den Mädels und ihrer Beraterin an der Kasse zu sprechen. Ich gab ihr mein Handy mit der Übersetzung von „Hakenkreuz“ mit – das heißt auf Englisch (bzw. ursprünglich) nämlich „Swastika“ und ist nicht nur schwer auszusprechen, die wenigsten Non-Natives wissen, wie es übersetzt wird. Valentina ging runter, nahm sich zwei Mitarbeiterinnen zur Seite und sagte ihnen, dass der Piercer oben Tattoos hat, die politisch ziemlich unkorrekt sind – währenddessen hielt sie ihnen mein iPhone mit der Übersetzung unter die Nase. Sie erzählte mir, dass die Mitarbeiterinnen geschockt fünf Schritte zurückgetreten sind, als sie gelesen haben, was da auf dem Handy stand und gar nicht glauben konnten, was Valentina ihnen erzählte. Weiterhin sagten sie, dass sie so etwas nicht unterstützen, diese Tattoos (sie sind recht klein, aber vielleicht haben wir deutschen eine größere Sensibilität für diese Symbole) noch nie gesehen hätten, sich nicht vorstellen können, dass er ein Nazi sei, da er selbst jüdisch ist.

Wie bitte? Ein Jude mit Hakenkreuzen auf dem Bein? Anyways, dazu kommen wir gleich. Sie zitierten den Piercer runter, während Valentina sich wieder neben mich nach oben saß. Gefühlte Stunden sprachen sie mit dem Piercer und Valentina und ich waren uns nicht sicher, ob er gleich gefeuert wird oder ihr, falls nicht, das schlimmste Piercing ever stechen wird, weil sie seine Hakenkreuze zum Thema gemacht hat. 

Schließlich kam er wider hoch und machte mit den Kunden vor uns weiter, wie bisher. Ich fand die Situation noch immer so strange, dass ich noch mal runtergegangen bin, um mit den Mitarbeitern zu sprechen. Sie sagten mir, sie hätten mit dem Piercer geredet, der ja selbst jüdisch sei, die Tattoos auf seinem Bein seien ursprünglich alt-indische Zeichen, die von den Nazis danach benutzt worden seien, er sie aber als originale Sanskrit-Tattoos, als Sonnenkreuz, trüge. Mit Unverständnis entgegnete ich ihnen, dass das ursprüngliche Sonnenkreuz heute aber eine ganz andere Bedeutung hat und hauptsächlich als Nazi-Symbol bekannt ist, das viele Leute nicht nur zutiefst verletzt und kränkt, sondern nebenbei als „modisches Trend-Tattoo“ auch noch eine der schrecklichsten Ären unserer Geschichte relativiert und verharmlost. Weiterhin teilte ich dem Piercing Geschäft mit, dass das nicht nur mich als deutsch-jüdische Wahl-New-Yorkerin zutiefst schockiert, solche Symbole in einer liberalen Weltmetropole sehen zu müssen, sondern auch, dass sie diesem Piercer mitteilen sollten, dass er zur Arbeit besser lange Hosen trüge – denn ehrlich gesagt kann es sein, dass mehrere Leute diese Tattoos sehen und schon gesehen haben, und es nicht wie wir ansprechen, sondern mit dem Gefühl nach Hause gehen, dass dort ein Nazi arbeitet. Werbung für ein weltweit gehyptes Piercing Studio geht anders. Die Mitarbeiter reagierten immer noch äußerst verständnisvoll und sagten mir, ich kann den Piercer alles fragen, wenn ich möchte, und wenn ich mich wohler dabei fühlen würde, wären sie bei dem Gespräch auch dabei.

Ich ging wieder nach oben und sprach mit Valentina. Wir einigten uns, dass wir mit ihm sprechen, bevor er sie pierct und dann entscheiden. Als wir dran waren, sprachen wir ihn auf seine „Sonnenkreuze“ an – er erzählte uns das gleiche, wie seine Kollegen: Er sei jüdisch und die Tattoos sind hinduistische Zeichen. Auf meine Frage hin, ob es ihm egal sei, dass diese Symbole entfremdet wurden und was seine jüdische Familie dazu sagt, dass sich ihr Sohn, Neffe oder Enkel sich Hakenkreuze hat stechen lassen entgegnete er ebenfalls nur, dass er so viele Tattoos hat, dass seine Eltern es aufgegeben haben, sich eine Meinung zu seiner Körperkunst zu bilden. Er schien ein netter Kerl zu sein und machte nicht den Eindruck, als sei er ein Nazi oder ein Jude, der seine eigene Herkunft hasst. Valentina ließ sich mit einem besseren Gefühl piercen, ideal war es trotzdem nicht.

Das zur Story. Meine Meinung: Ich finde es nach wie vor überhaupt nicht witzig, dass sich jemand Hakenkreuze oder hinduistische Sonnenbilder – oder wie auch immer man das Symbol nennen mag – stechen lässt. Kurz vorab: Ich bin keine Jüdin, die in Deutschland noch immer die Erbschuld sucht, ganz im Gegenteil, mich nervt das Thema eher und ich habe bis auf lächerliche Kleinigkeiten auch noch nie schlechte Erfahrungen machen müssen. Weiterhin bin ich noch nicht mal religiös, ich bin jüdisch, weil ich es bin und aus kulturellen Gründen finde ich es schön, Traditionen weiterzuleben. Trotzdem finde ich es schrecklich, solche Tattoos (auf einem Juden oder auf sonst wem) sehen zu müssen, weil sie nicht nur wahllos Leute beleidigen sondern auch die Nazi-Zeit verharmlosen und sogar salonfähig machen. Und jetzt kommen wir zu dem Punkt, der mich am meisten nervt: Offensichtlich ist der Typ kein Hindu, also lässt er sich nicht nur Symbole stechen, mit denen er absolut nichts zu tun hat, ihm ist es aber auch scheißegal, was sie für eine Bedeutung für andere Leute haben. Und indem er sie offen zur Schau an seinem Körper trägt, willst er ja, dass sie gesehen werden.

Ich glaube für mich gibt es nichts Unverständlicheres, als sich aus Trend- oder Schönheitsgründen mit Symbolen zu schmücken, die nichts mit einem selbst oder seinem Glauben zu tun haben, oder mit denen man keine spezielle Verbindung hat – vor allem, wenn sie dann noch so negativ behaftet sind und auf die Massengräber der Millionen Juden spucken, die bis 1945 ihr Leben lassen mussten. Wieso zur Hölle lässt man sich überhaupt solche Tattoos stechen?

Mal ganz abgesehen davon, dass man dafür in Deutschland – aus gutem Grund – wegen Volksverhetzung in Knast kommen könnte. Und da das Thema nicht nur hier, sondern die Political Correctness und Anti-Diskriminierung auch einen so hohen Stellenwert in den USA haben (mal sehen wie lange noch, Mr. Trump!) hat das Piercing Studio Valentina einige Wochen später eine Email geschrieben, sich für den Vorfall noch mal zutiefst entschuldigt und ihr ein weiteres, kostenloses Piercing mit Schmuck bei einem ihrer anderen Piercer angeboten.

Kleine Notiz am Rande: Ein paar Wochen danach hatte ich wieder Besuch von zwei Freundinnen aus Deutschland, die sich ebenfalls unbedingt in diesem Laden und mit dem besonderen Schmuck piercen lassen wollten. Ich habe sie wieder begleitet – der Piercer mit den Hakenkreuzen war nicht mehr da. Ob er frei hatte oder gefeuert wurde? Who knows. 

Mehr über: New York, Kolumne, NYC
Credits: Unsplash

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