Zitat meiner Kollegin: „Ich habe gestern zwei alte Jeanshosen zum Flicken gebracht. Die waren im Schritt aufgerieben. Es hat fast genau so viel gekostet, als hätte ich mir einfach zwei neue gekauft. Aber das war es so wert.“
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Blockieren, löschen, aus den Augen aus dem Sinn. Alles, was „toxisch“ ist, muss weg! Toxisch. Das ist heutzutage so vieles. Das Arbeitsverhältnis, die Beziehung, die Freundschaft, Glaubenssätze, bestimmte Angewohnheiten sind toxisch. „Merkst du denn nicht, dass das toxisch ist? Weg damit!“ – Wie oft hast du dir diesen Ratschlag in der letzten Zeit selbst gegeben? Wie oft hat ein enger Vertrauter dir diesen Ratschlag ans Herz gelegt? Ziemlich oft wahrscheinlich. Selbst ertappe ich mich dabei immer wieder. Immer wieder gerate ich in das Muster, Dinge, die mich just in diesem Moment in irgendeiner Form unglücklich machen, grundlegend zu hinterfragen und in letzter Instanz dann kurzerhand zu eliminieren. Den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Eben das zu tun, was uns allen heute sehr leicht fällt: wegwerfen.
Wir Marie-Kondo-en unser ganzes Leben
Ja, wir sind in eine Wegwerfmentalität geraten. Wir haben gelernt, dass es uns stark und unnahbar macht, unser Leben so radikal wie möglich von vermeintlichen Schädlingen zu befreien. Immer und immer wieder schmeißen wir einfach weg – ob es Gerümpel im Regal ist, ein Kleid, das sich dann doch als Fehlkauf erwiesen hat, oder eben auch zwischenmenschliche Beziehungen. Wir Marie-Kondo-en unser ganzes Leben. Wir machen aus Lebensabschnittsgefährten Lebensabschiedgefährten. Ich komme deshalb nicht umhin, mir die Frage zu stellen: Toxisch – Was ist das überhaupt? Und: Kann ich das Gerümpel im Regal nicht vielleicht auch abstauben? Das Kleid umnähen? An der Beziehung arbeiten? Halten wir diesen Gedanken kurz an.
Natürlich, ich spreche hier sehr absolut und sicherlich gibt es bei jedem Einzelnen Ausnahmen. Trotzdem glaube ich, dass wir eben genau diese Müll-Mentalität irgendwie entwickelt haben – man hört es doch überall, es muss nicht mal im engsten Umfeld stattfinden, wo auch immer man hinsieht und hinscrollt begegnen einem Wörter wie „toxisch“ und „ungesund“. Ich frage mich, ob wir uns diese Mentalität angeeignet haben, weil die Angst vor dem Verletztwerden und Schmerzen-Ertragen so tief sitzt, dass wir sie als einfachste Lösung verinnerlicht haben?