Solidarität mit der Ukraine – Wie mit dem eigenen Gefühlschaos umgehen, ohne respektlos zu sein

Raul Krauthausen, Autor und Moderator, hat etwas gepostet, was einige von uns sicher nachempfinden können. „Nichts/wenig zum Ukraine-Krieg zu posten, heißt übrigens nicht, dass es dem Menschen egal ist. Sprachlosigkeit und das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit hat auch viele Gesichter. Bitte hört auf Herz und Bauch.“

Es ist gar nicht so einfach, die eigenen Gefühle derzeit einzuordnen und sich gleichzeitig angemessen zurückzunehmen. Ich möchte helfen und spenden, aber auch nicht dämlich wirken und mir einbilden, dass ich damit plötzlich eine Retterin in der Not werde. Ich möchte über die Situation sprechen, mir aber nicht anmaßen zu wissen, was vor Ort wirklich passiert. Ich möchte meine Angst verstehen, ohne sie so unangemessen hoch zu pushen, weil das in diesem Moment eher anderen Menschen „zusteht“. Und ich möchte morgens mit einem beklemmenden Gefühl aufwachen und trotzdem 10 Minuten später Bilder von der Fashion Week sehen. Ich möchte mich bilden und ablenken und dann wieder bilden – ein Luxus, den betroffene Menschen in Konflikt- und Kriegsgebieten nicht haben.

Wie gehen wir mit der aktuellen Situation richtig um?

Wie also die eigenen Emotionen erlauben und zulassen, ohne sich fehl am Platz zu fühlen? Und wann sollten wir wirklich mal einen Schritt zurück machen und uns als Nebencharaktere verstehen? 

Zunächst einmal sollten wir versuchen, die Ruhe zu bewahren – alleine schon, weil wir in dieser luxuriösen Position sind, Entscheidungen treffen zu können. Wofür wir uns nicht schämen brauchen! Es ist dennoch ein Privileg. Wichtig ist, eine Balance zu finden. Denn wer in Panik gerät und eventuell sogar Panikattacken und körperliche Beschwerden dadurch erleiden könnte, kann in solchen Zuständen nicht für andere da sein. Wir alle sind besorgt und uns alle überkommt ab und zu ein Gefühl von Angst, das wir auch unbedingt fühlen sollten. Gefühle zu spüren ist nie verwerflich. Wie wir sie umwandeln, kanalisieren und kommunizieren, das kann unter Umständen verletzlich aufgenommen werden. Etwa von Menschen, die sich realistisch gesehen einfach in wesentlich bedrohlicheren Situationen befinden. Die Balance zu finden, die eigenen Probleme ernst zu nehmen und sich dennoch nicht als Nabel der Welt zu sehen, das kann für uns alle herausfordernd sein.

Denn: Wir bekommen ja davon mit. Auch von dem Horror, durch den Ukrainer:innen gerade beispielsweise gehen müssen. Soziale Medien verbreiten Videos und Fotos aus erster Hand über TikTok und Insta. Die Nachrichten bereiten Informationen auf, richten Newsticker ein, spekulieren über mögliche Folgen für UNS. Und Zack – plötzlich tangiert es auch uns in irgendwelchen Zukunftsszenarios. Und wir geraten in Angst. Häufig kommt dann aber direkt diese innere Stimme, die sagt: „Andere erleben das jetzt bereits. Du bist doch wohl bescheuert, du hast nichts auszustehen.“

» Eine gesunde Herangehensweise wäre vielleicht, nicht ohne Reflektion einfach alles zu reposten und rauszuballern, sondern lieber nachhaltig über die Probleme, die zu der Krise geführt haben, nachzudenken. «

Schon jetzt gibt es Tipps für die Unterstützung der Auffassung bei Kindern hier im Land im Bezug auf die Nachrichten aus der Ukraine. Und da wir in Angstzuständen zwar oft ganz rational handeln, aber auch sehr willkürlich und hitzköpfig sein können, sind einige der Ratschläge auch für uns Erwachsene wichtig und anwendbar. Zum Beispiel, dass wir genau darauf achten, die Bilder und Nachrichten nach und nach zu verarbeiten und eben nicht alles unkontrolliert auf uns einprasseln zu lassen. Ich weiß, man möchte das dann gerne in dem Moment ALLES auf einmal spüren und sehen, aber wenn wir dann überfordert sind und erstarren, hilft uns das nicht weiter. Auch die Frage nach der Qualität und Überprüfung der Fakten und Quellen spielt hier eine große Rolle. Sich zu informieren kann dabei helfen, einen Überblick zu bekommen, ohne sich bis zur Überforderung und Depression mit falschen News vollzuquetschen.

Außerdem wird immer noch unterschätzt, wie gut es tut, miteinander zu reden. Auch ohne Wertung einfach mal zu sagen: Ich habe irgendwie Angst und weiß nicht, was da gerade passiert. Vielleicht fühlen andere sich genau so, oder sind sehr gut informiert und man kann sich zusammen überlegen, wie man am besten helfen oder spenden kann. Und auch die Momente anzunehmen, in denen man dann doch mal lacht, ist super wichtig und gesund! Das macht uns Menschen nämlich aus: Dass wir sehr flexibel sein können und uns vielschichtig reflektieren. Traurig zu sein bedeutet nicht unbedingt, dass wir uns das danach auch Wochen und Monate lang beweisen müssen und nicht mehr das Leben leben. Jede:r geht anders mit Emotionen um und es gibt kein Richtig und kein Falsch. Natürlich ist es gut, ein bisschen auf seine Mitmenschen zu achten und sensibel genug zu reagieren, aber das Leben passiert nun mal. Jetzt und hier – in jeder einzelnen Sekunde. Und wenn etwas Lustiges passiert, dann lachen wir. Wenn wir dann etwas Erschütterndes lesen oder sehen, dann schnürt es sich in uns zusammen. Das macht keins der beiden Gefühle unwahr oder heuchlerisch. Eine gesunde Herangehensweise wäre vielleicht, nicht ohne Reflektion einfach alles zu reposten und rauszuballern, sondern lieber nachhaltig über die Probleme, die zu der Krise geführt haben, nachzudenken. Damit wäre ganz vielen Menschen auch geholfen. Mit Nachhaltigkeit auch im gedanklichen und emotionalen Sinne, so dass all das nicht nächste Woche vergessen ist. Dann bringt der gefühlschaotische Wortsalat nämlich gar nicht so viel, wie anfangs gedacht. Zurücknehmen, zuhören, reflektieren, anwenden.

Über den Luxus, sich abzulenken zu können – und ob wir deshalb nichts empfinden „dürfen“

Auch die Nachrichten- und Entertainment-Industrie setzt sich mit solchen Geschehnissen auseinander. Denn auch wir in der Redaktion sind ja Menschen mit Gedanken und Gefühlen. Und daran ist auch nichts überheblich, sondern so ist es einfach. Auch wir möchten manchmal einfach nichts schreiben oder sagen, weil es sich komisch anfühlt. Und auch diese Aussage ist im nächsten Moment schon wieder falsch, weil wir uns fragen: „Ist das makaber, dass WIR bedrückt sind? Sind wir respektlos, wenn wir uns mulmig fühlen?“ Aber für viele Menschen ist eben das die tagtägliche Arbeit. Also, dass all die Dinge in die Welt gebracht werden, die uns im Moment total unwichtig vorkommen. Ablenkung und die Möglichkeit, sich nach Wunsch auch mal in ein anderes Universum zu flüchten, das hilft vielen Menschen, nicht in Panik zu geraten. Klar ist es nicht schön, über die Fashion Week zu posten. Und dann zwischendurch kommt mal ein Spendenaufruf. Aber das ist ja unsere Realität derzeit: Wir sind nicht voll drin, aber auch nicht unwissend und versuchen, ohne uns etwas einzubilden, zu berichten, aber eben auch das, was außerdem gerade so passiert. Es ist nicht so einfach, diesen Mittelweg zu erklären und einzuhalten – das ist eben menschlich. Wir müssen nicht alles wissen und können, wir sollten versuchen zuzuhören und auch unsere Emotionen jemandem zu kommunizieren.

Wir haben keine Vorstellung, wie furchtbar es so vielen Menschen auf der Erde geht, solange es nicht wir selbst sind. Wir haben die Möglichkeit, uns auf die Themen einzulassen und jederzeit wieder rauszuziehen. Und dafür möchten wir uns manchmal schämen oder Demut zeigen. Und wenn uns danach ist, können wir das auch tun. Gefühle leugnen, oder uns gar nicht erst erlauben – davon haben wir alle rein gar nichts. Fühlen tun wir nämlich, ob wir wollen oder nicht – alle auf unterschiedliche Art. Lasst das zu, achtet auf eure Art der Kommunikation und darauf, Emotionen immer in den Kontext zu setzen. Schaut, dass ihr möglichst keine Vergleiche zieht und nichts gegeneinander aufwiegt. Unterstützt euch, wo ihr könnt und passt auf euch alle auf. Auch emotional. Nehmt euch selbst und andere ernst und seid sanft miteinander. Wir möchten es gerne alle verstehen und einordnen – das schaffen wir zusammen besser als alleine. An unseren Gefühlen und dem bedrückenden Gefühl ist nichts verkehrt! Es ist eher der Fluss von Kommunikation und Informationen, bei dem wir vielleicht unsensibel oder uneducated rüberkommen könnten und andere Menschen damit wütend machen, die betroffener sind als wir. Für Gefühle gibt es keine Erlaubnis, kein Verbot und auch keine Angemessenheit, sondern nur für die Art und Weise, wie wir damit umgehen.

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Credits: Pexels

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