Warum unsere Angst vor dem 30. Geburtstag völlig unbegründet ist

Style du Monde

Um eins klar zu stellen: Letztes Jahr schoben sich die 3 und die 0 in mein Leben – und ich bin weder verheiratet, noch besitze ich ein Eigentumsloft, Nachwuchs gibt’s auch nicht, versteht sich. Und? Ich habe wohl die gesellschaftliche To-Do-Liste verlegt, upsi. Weit weg, vielleicht ja in die 40er…

Es ist schon witzig, wie wir uns als Kinder das spätere Leben als Erwachsene vorstellten: Also mein Zahnspangen-Ich hatte die Bravo Girl abonniert, füllte Psycho-Tests nicht einfach nur aus, sondern verzierte sie mit Herzchen und Träumerein. „Mit 20 Jahren werde ich heiraten und mit 25 Jahren kommt dann das Wunschkind“, sagte ich mir. Memo an mein früheres Ich: Kind, komm mal klar. Irgendwann schluckst du die Pille der Realität statt Smarties.

Verwerflich sind Träumereien niemals, aber sie können sich eben überholen. Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Auf jede neue Möglichkeit im Leben kam gefühlt auch auch eine neue Unsicherheit. Zumindest ein kurzer Anstoß fürs Gedankenkarussell: Nochmal ins Ausland? Sich auf nur einen Mann oder eine Frau festlegen? Nach dem Bachelor nochmal was ganz anderes lernen? Ein Tinderdate am anderen Ende der Welt? Alles geht – nichts muss? Nicht ganz! Frei von den Erwartungen unserer Eltern („Liebes, so eine Lücke im Lebenslauf macht sich nicht gut“ oder „So ein Enkelkind wäre schon langsam schön“), unserer biologischen Uhr („Tick Tack, ich hab nicht ewig Zeit“) oder auch zum Beispiel der Schönheitsindustrie („Wer mit 25 noch keine Anti-Aging-Creme benutzt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“) können wir uns halt auch nicht machen. Und pünktlich zum 30. Geburtstag werden all diese Stimmen so laut, dass wir manchmal Schwierigkeiten haben, die eigene zu hören. Dann wird abgerechnet: Was habe ich schon erreicht? Verdiene ich genug? Warum sind andere erfolgreicher, dünner, mütterlicher, schlauer, spritziger, mutiger, seriöser…? Du weißt Bescheid.

Wieso behandeln wir die 30 so, als würde unser Leben mit 35 aufhören?

„Ich glaube, dass die Ängste in der Gesellschaft schlechthin gestiegen sind, weil immer weniger Sicherheiten bestehen. Die jungen Frauen sind gestresster, alles zu schaffen: Eine gute Ausbildung, beruflichen Erfolg, Mr. Right zu finden und die Familienplanung. Da kommt bei manchen schon Panik auf, wenn das bis zum 30. Geburtstag nicht geregelt ist. Der Druck hat in den letzten Jahrzehnten ganz schön zugenommen“, erklärt Diplom- Psychologin und Autorin Stefanie Stahl aus Trier. „Meistens geht es ja nur darum, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Viele haben Angst, falsche Entscheidungen zu treffen und zu versagen. Nicht wenige bleiben auch in der Nähe ihrer Eltern, trauen nicht den Absprung. Eine gelungene Loslösung von den Eltern bedeutet, sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu formen. Das fällt vielen schwer. Erwachsensein bedeutet eine gute Balance zwischen Bindung und Autonomie aufzuweisen: Also einerseits anpassen und vertrauen können und andererseits selbst behaupten und trennen.“

Das Wort Quarterlife-Crises wurde die letzten Jahre ganz schön überstrapaziert – egal, wie man es nennen mag, so eine Sinnkrise in den 20ern gehört heute wohl dazu: „Ich denke, das Erwachsenwerden brachte grundsätzlich immer Ängste mit sich – und nun haben wir eben dieses tolle Wort dafür, weil die Ansprüche an die jungen Menschen offensichtlich gestiegen sind. Hinzu kommt dieser Schönheits- und Figur-Terror, der auch nicht gerade zur Entspannung beiträgt“, so die Psychologin. So kann man auch nicht leugnen, dass Soviel Media die Latte an Erwartungen hoch setzt. Wir befinden uns online ja im permanenten Schwanzvergleich (unschönes Wort, aber das weibliche Pendant gibt es nicht – Sexismus?!), und das auch noch mit Filter: Abi mit 17, Wohnung wie im Hygge- Katalog, Freunde sehen auch aus wie gecastet. „Die sozialen Medien stressen die Menschen mit den Schönheitsidealen. Überall, wo man hinguckt: Schöne Menschen. Außer auf der Straße und im wirklichen Leben. Ich empfehle mir selbst und anderen oft die sogenannte Realtherapie. Sprich: Geh mal wieder ins Schwimmbad und normalisiere deine Normen“, rät Stefanie Stahl.

 

Einfach mal den Reality-Check machen

Und so ein Realitycheck ist auch wichtig, wenn es um die „Erfolge“ vor dem 30. Geburtstag geht: Ich mache mich locker, denn ich träumte nicht nur von Hochzeit und Baby – ich träumte auch davon, einmal in einer Stadt zu wohnen, die pulsiert. Ich malte mir immer so eine Szene aus: Ich im Schneidersitz auf einer Bank in einem Park, mein Laptop auf dem Schoß und einen To-Go-Becher in der Hand. Ich als freie Autorin in der Großstadt, wow. Das war das Bild der Freiheit für mich. Und siehe da: Genau das ist mein Arbeitsalltag. Ich lebe in Berlin, die Stadt der Möglichkeiten und übe meinen Traumberuf aus. Also wenn man mit 30 schon abrechnet, dann sollte man auch all das verbuchen, was man schon geschafft hat. Es fühlt sich immer besser, auf das Konto mit dem Plus zu gucken, als auf auf das, das im Minus ist.

So ein vermeintliches Minus relativiert sich, denn ich bin heilfroh, dass ich NICHT mit 25 schwanger wurde. In dem Alter bekamen in Deutschland Frauen in den 70ern im Durchschnitt ihr erstes Baby. Die Generation unserer Eltern, das erklärt auch warum wir als Kinder auf dieses Wunschalter für die Familie kamen. Laut Studien geht es heute bei Akademikerinnen meist mit 33 los. Die Zahl der Mütter über 40 steigt stetig – was Mediziner als Risiko einstufen, sehen Psychologen als großen Bonus für die Erziehung. Immerhin stehen wir viel sicherer da: Wir haben dann was geschaffen, sind finanziell auf eigenen Beinen, haben bereits wild gefeiert und fühlen uns sicher in und mit unserem Körper. Ich feier‘ die 30, denn das Geile ist, dass wir endlich unseren Zyklus verstehen und uns was wert sind. Wir setzen andere Prioritäten und sind entspannter mit vielem. Man muss eben nur in Kauf nehmen, dass man beim Versuch eine berufliche Veränderung zu verkünden, direkt unterbrochen wird mit: „Du bist schwanger?!“

Text: Edith Löhle

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