Wie ist es eigentlich… wenn du deine Hochzeit absagst?

Im August 2014 sollte es so weit sein: Jan und ich wollten heiraten. Das Datum stand, mein Hochzeitskleid wartete im Schrank auf seinen Einsatz, die Einladungskarten waren schon lange gedruckt und in einer Woche sollte mein Junggesellinnenabschied stattfinden, als sich ein ungutes Gefühl in meinem Bauch breit machte und langsam aber sicher immer mehr Platz einnahm. War Jan wirklich der Mann, den ich heiraten wollte, der Mann, mit dem ich mir eine gemeinsame Zukunft aufbauen, irgendwann Kinder haben und alt werden wollte? Noch vor einem halben Jahr hätte ich auf alle dieser Fragen voller Überzeugung „JA“ geantwortet. Doch allmählich war ich mir da nicht mehr so sicher.
» Man muss dazu sagen, dass ich vor einem halben Jahr – eigentlich die ganze Zeit bis jetzt, nicht voll und ganz bei mir gewesen war. «
Nicht im übertragenen Sinn, sondern wortwörtlich. Vor eineinhalb Jahren hatte ich wegen meiner Arthrose eine Hüftoperation, die leider total daneben gegangen war: Mein neues Hüftgelenk war im falschen Winkel eingesetzt worden und ich konnte kaum noch gehen, galt auf dem Papier plötzlich als „behindert“. So hatte ich fast ein ganzes Jahr lang arbeitsunfähig und unter stärksten Pharmazeutika verbringen müssen. Zeitweise hatte ich sogar Morphium nehmen müssen und die Tage mehr oder weniger in Trance verbracht.
In dieser Zeit war mir Jan eine große Stütze gewesen. Er bekochte mich, zwang mich zu essen, auch wenn ich noch so appetitlos war, und half mir Schritt für Schritt dabei, wieder das Gehen zu lernen. Er war für mich da und ich war ihm unglaublich dankbar dafür. Natürlich hatte ich bei seinem Antrag im Oktober freudestrahlend „JA“ gesagt.
Doch irgendwas stimmt in letzter Zeit nicht mehr. Bei Jan, bei mir. Seit ein paar Monaten war ich endlich, endlich wieder fit, konnte wieder richtig gehen und durfte wieder arbeiten. Bei meinem Job in der Bank hatte sich während meiner Abwesenheit einiges geändert und ich hatte neue Kollegen, mit denen ich mich supergut verstand. Sehr zu Jans Übel.
Während ich begann, das Leben wieder zu genießen, abends mit meinen Kollegen etwas trinken zu gehen oder mich mit Freundinnen traf, wirkte Jan zunehmend mürrischer. Wann immer ich abends noch etwas unternahm, überhäufte er mich mit Fragen. Mit wem ging ich aus? Sicher, dass ich mich auch wirklich mit meinen Mädels traf und nicht etwa mit einem Mann? Wer war dieser neue Kollege? Ob ich mir sicher war, dass er nichts von mir wollte?
Solche Verhöre wurden immer häufiger und machten mich unglaublich traurig. Jan gab mir damit ein Gefühl, als würde er es mir übel nehmen, dass ich langsam wieder das Leben genießen konnte.
Mit meinen Freundinnen sprach ich darüber erst einmal nicht. Doch irgendwann fingen sie von allein an, mich wegen der Hochzeit zu löchern und wie ich jetzt bemerkte, waren die Wenigsten richtig begeistert von Jan.
» Eines Abends eskalierte es dann völlig. «

Ich war mit meinen Kollegen und Kolleginnen aus, als Jan wieder mal anfing, mich wie wild mit Nachrichten zu bombardieren. Ich solle nach Hause kommen und ob ich eigentlich total blöde sei, nicht zu merken, dass meine männlichen Kollegen total in mich verliebt seien. Er klang in seinen Nachrichten richtig wütend und versuchte bestimmt fünfzig Mal, bei mir anzurufen. Deshalb verabschiedete ich mich von meinen Kollegen und ging nach Hause. Ich wollte mich nicht mit Jan streiten.

Zu Hause schrie mich Jan zur Begrüßung an und beschimpfte mich wild; er war richtig in Rage und hatte mein ganzes Schlafzeug im Wohnzimmer ausgebreitet. Er hatte über meinen Kopf hinweg entschieden, dass ich nicht in unserem Bett schlafen sollte, so als wäre ich irgendein ungezogenes Haustier, das man konditionieren musste. Ich versuchte ihn zu beruhigen, doch es half nichts. Je mehr ich sagte, desto wütender wurde er. So wütend, dass er am Ende mit seiner Faust gegen die Wand schlug, und den Lichtschalter zertrümmerte – nur fünf Zentimeter entfernt davon, wo ich stand.

Ich weiß nicht, ob Jan mich schlagen wollte. Vielleicht ja, vielleicht auch nicht, jedenfalls hat er damit sehr viel mehr kaputtgemacht als nur den Lichtschalter. Mein ganzes Vertrauen war mit diesem einen Schlag dahin, ich fühlte mich jetzt dem Mann, den ich gerade noch hatte heiraten wollen, völlig fremd.

Man kann niemanden heiraten, vor dem man eigentlich Angst hat. Das wusste ich. Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile, bis ich mich offiziell gegen die Hochzeit entschied. Ich wusste, dass Jan, so aggressiv und unberechenbar er in dem einen Moment sein konnte, im nächsten Moment der liebste Mensch der Welt war. Deshalb tat mir die Entscheidung auch so weh. Mal abgesehen davon fragte ich mich natürlich auch, was meine Eltern, meine Freunde und alle anderen, die von der Hochzeit wussten, sagen würden.

In den Wochen nach Jans Wutausbruch verbrachte ich viel Zeit mit meinen Freundinnen. Mir fiel jetzt auf, wie sehr ich sie die ganze Zeit über vernachlässigt hatte; viel zu sehr hatte ich mich abgekapselt. Die Ablenkung half mir und nach einigen Wochen rückte ich dann überall mit der „Hiobsbotschaft“ raus und sagte meine Hochzeit ab. Jan wollte mir zuerst nicht glauben und versprach mir unter Tränen, sich zu ändern. Als er merkte, dass ich ernst machte, beschimpfte er mich und forderte meinen Verlobungsring zurück.

» Meine Eltern reagierten total locker. «

Obwohl sie Jan nur von seiner guten Seite kannten und mir Geld für die Feier geliehen hatten, standen sie total hinter meiner Entscheidung. Meine Mutter bot mir sofort an, mit mir Möbel shoppen zu gehen. Jetzt, wo Jan und ich nicht heiraten würden, musste ich mich nach einer neuen Wohnung umschauen, in der ich diesen neuen Lebensabschnitt verbringen würde.

Ich bereue es nicht, mich überhaupt mit Jan verlobt zu haben, denn zur Zeit meiner Verlobung war ich wirklich unfassbar in ihn verliebt und glaubte an unsere Beziehung. Wahrscheinlich habe ich ihn damals aber einfach noch nicht ganz als den Menschen gesehen, der er eigentlich ist, war blind vor Liebe und wegen meiner Krankheit leichter beeinflussbar. Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war, meine Hochzeit abzusagen. Dieser Schritt ist mir unglaublich schwergefallen, aber heute, zwei Jahre später, weiß ich, dass ich alles richtig gemacht habe. Sobald man den geringsten Zweifel an seiner Beziehung hat, sollte man nicht heiraten. Ich bin heute, nachdem ich meine Hochzeit abgesagt und meinen jetzigen Freund kennengelernt habe, so glücklich, dass es nicht in Worte zu fassen ist.

Protokoll: Nina Ponath

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