Yes, ich habe tatsächlich Würmer als Haustiere – und das aus einem guten Grund

Groß und schwer steht sie da, mitten in meiner Küche, diese Kiste, mit dem ungewöhnlichen Inhalt darin. Noch ziemlich unscheinbar in einen großen Karton verpackt. Und plötzlich trifft es mich wie ein Schlag: Marlena, du wirst jetzt Würmer beherbergen. Du wirst jetzt kleine, weiche Lebewesen füttern und ihnen eine Grundlage zum (Über)Leben bieten (müssen). Während andere sich im zweiten Lockdown einen Hund zulegen… schaffe ich mir eine Wurmbox an. Quasi einen kleinen Kompost für zuhause.

Mit dem Gedanken habe ich tatsächlich schon länger gespielt. Schließlich ist der Weg vom vierten Stock zum Biomüll doch immer ein sehr weiter. Und so richtig getrennt wird hier im Berliner Hinterhof sowieso nicht… Also habe ich mich informiert – und bin auf das Konzept der ‚Wurmkiste‘ gestoßen.

Womit auch wirklich genau das beschrieben wird, was letztlich dahinter steckt: Eine Kiste aus Holz, die zusammengebaut, mit Würmern befüllt und beiseite gestellt wird. Immer wieder kann Biomüll nachgekippt werden, den die fleißigen Tierchen zersetzen und zu Pflanzenhumus (also abgestorbener organischer Bodensubstanz) verarbeiten. Genau diese  Bestandteile des Bodens sind wichtig für die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor. Ganz schön schlau, dieser Kreislauf der Natur. Warum dieses Prinzip also nicht direkt in die eigene Wohnung verfrachten?

Zugegeben: Ein wenig mulmig wird auch mir im ersten Moment. Schon beim Öffnen des Pakets kann ich meine Aufregung kaum noch zurückhalten. „Sind in der Tüte jetzt die Würmer drin?!“, „Hat sich da gerade etwas bewegt?“, „OHMEINGOTTDAHATSICHAUFJEDENFALLGERADEETWASBEWEGT!“.

So cool wie ich im Nachhinein tue, war ich also längst nicht. Auch ich hatte so meine Bedenken. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als der Paketbote schnaufend mit dem riesigen Paket vor meine Wohnungstür gestapft kam.

Kriege ich das mit dem Aufbau hin? Können die Würmer eigentlich abhauen? Stinkt das nicht irgendwann? Und woher weiß ich, dass mein kleines, neues Ökosystem funktioniert? Klare Antworten, kurz und knapp: Ja, nein, jein und… weiß ich immer noch nicht. 🤪

Aber obwohl damit eigentlich auch schon alles gesagt wäre, wollen wir euch natürlich noch einige weitere Informationen mit auf den Weg geben. Für alle, die selbst interessiert sind, jetzt neugierig werden – oder einfach Clickbait hinter dieser Headline vermutet haben. 😉

Beginnen wir also mit dem Aufbau. Mein Modell der Marke wurmkiste.at ist die sogenannte kleine Wurmkiste als Selbstbau-Set. Sie ist mit 139,00 € die günstigste Variante und damit auch am schlichtesten ausgestattet. In dem Paket enthalten sind die Holzteile, Schrauben, Schleifpapier, Dichtungen, eine Mineral-Mischung und die Hanfmatte zur Abdeckung. Zusätzlich wird noch die Startpopulation Kompostwürmer für 38,00 € benötigt, die bereits in nährstoffreicher Erde geliefert werden.

Vom Holzbrett zur Kiste: Der Einzug steht an

Alleine wäre mir dieses DIY-Projekt vermutlich schwerer gefallen. Oder es hätte zumindest um einiges länger gedauert. Gleichzeitig Holzwände stabilisieren zu müssen, während die Schrauben eingedreht werden, stelle ich mir dann doch recht sportlich vor. Zu zweit klappt aber alles ziemlich reibungslos – wenn auch nicht gänzlich ohne Gefluche. 😉

Auf den darauf folgenden Schritt habe ich mich tatsächlich am meisten gefreut. Denn nun ist das Befüllen dran. Das kleine Heftchen erklärt mit süßen Bebilderungen, wie es geht: Zunächst soll ein Teil des Verpackungskartons in Wasser eingeweicht werden (zur direkten Wiederverwendung – we love that!), anschließend wird die  Startpopulation mit seinen ca. 500 Würmern in der Kiste mit dem durchnässten Karton vermischt.

Ich schaue meinen Freund fragend an. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir nicht mal sicher, ob die Würmer überhaupt mitgeliefert wurden. Denn wie transportiert man bitte Lebewesen… als Päckchen von Österreich nach Berlin?! Nun: Offenbar in einem kleinen auslaufsicheren Säckchen. Darin können meine neuen Haustiere bis zu drei Wochen unbeschadet überleben. Glücklicher sind sie aber hoffentlich in ihrem neuen Zuhause – denn dorthin werden sie nun mit einem kräftigen Ruck verfrachtet.

Futter für die Würmer, weniger Abfall für uns

Ungefähr bis zur Hälfte ist die Kiste jetzt mit Würmern und Erde und Pappe gefüllt. Hier und da streckt einer von ihnen kurz mal das Köpfchen (sagt man da Köpfchen?!) aus dem feuchten Dunkel heraus. Zwei gespannte Augenpaare glotzen zurück. Es vergehen Minuten, bis wir uns von dem Anblick lösen können. Wir haben jetzt also Würmer im Haus. Würmer, die die Mikroorganismen – also vorrangig Bakterien und Pilze – aus unserem Biomüll vertilgen und daraus Wurmkompost generieren. Würmer, die dort ab jetzt ihr Eigenleben führen… und trotzdem irgendwie von uns abhängig sind.

Aber stinkt das denn nun? Oder hauen die Würmer ab?

Nach der ersten überstandenen Faszination gewöhnen wir uns recht schnell an den neuen Alltag als Würmli-Eltern. Wir machen unser Ding, die Tiere ihrs. Alle paar Tage klappen wir den Deckel auf, heben die schützende Hanfmatte an und kippen Bio-Abfälle nach. Schnell merken wir, was gut funktioniert… und was nicht. Zwiebel- und Bananenschalen etwa werden deutlich langsamer verdaut, als Kaffeesatz oder Karottenreste.

Wir sind zufrieden. Bisher hat das Zusammenleben doch recht reibungslos funktioniert. Alles läuft so nebenbei. Oft vergesse ich sogar, was da am rechten Rand unserer Küche inzwischen steht. Immerhin sieht die Wurmkiste wie ein unscheinbarer Holzhocker aus – und kann durchaus auch als solcher fungieren. Als es im Juni dann aber endlich wärmer wird, folgen auch die ersten Unnannehmlichkeiten. „Gehören diese Insekten da rein?“ „Darf die Abdeckmatte so zerlöchert sein?“. Panisch krame ich die Anleitung wieder hervor.

Puh, alles noch im vertretbaren Bereich. Ekel vor kleinen Krabbel- und Fliegentierchen sollte man zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr haben. Denn während die Würmer nicht mal ansatzweise Anstalten machen, ihr Zuhause zu verlassen, sind es abwechselnd kleine Milben, Trauermücken und Fruchtfliegen, die sich beim Öffnen des Deckels auf Erkundungstour begeben.

Kurzerhand verbannen wir die Kiste auf den Balkon. Schließlich ist es inzwischen auch draußen warm genug. Dort erholt sich auch der Organismus zusehends wieder. Was lange Zeit zu feucht war, scheint jetzt, aus meiner laienhaften Sicht heraus, das perfekte Würmer-Biotop zu sein. Auch der Geruch, der sich zwischenzeitlich entwickelt hat, verflüchtigt sich schnell wieder. Wichtig ist schlichtweg, die Erde und das Ökosystem im Blick zu behalten. Was tut sich dort? Welche Veränderungen könnte es gegeben haben? Fangen Reste an zu schimmeln? Wie kann ich dem entgegenwirken? Die Tipps von wurmkiste.at helfen dabei. Und, ganz ehrlich? Mit der Zeit wird man auch cooler damit. Gestunken hat der Inhalt der Kiste nämlich eigentlich nie. Und auch die wechselnden Gäste ließen sich in den Griff bekommen, ohne dass sie uns als Schwarm entgegen kamen.

Haustiere with benefits

Bleibt also eigentlich nur noch eine Hürde zu nehmen: der Ernteprozess. Denn das ist es schließlich, was diesen ganzen Kreislauf so unglaublich spannend und ertragreich werden lässt. Wir geben unsere Reste hinein, lassen die Würmer für uns arbeiten und holen ca. ein halbes Jahr später frisch zersetzten Humus heraus. Dieser wiederum kann nun als Pflanzendünger oder sogar Anzuchterde verwendet werden.

Nicht’s leichter als das… dachte ich mir

Ein bisschen neue Erde da aus der Kiste zu holen kann schließlich nicht so schwer sein. Oder doch? Ha ha. Vier Wochen lang habe ich mich aktiv und hartnäckig davor gedrückt. Denn diese Kiste hat, im Vergleich zu den anderen Modellen von wurmkiste.at, kein herausnehmbares Schubfach, in dem der Humus einfach aufgefangen wird. Meine Kiste muss komplett geleert werden. Wurm für Wurm, bis nur noch die dunkle, weiche Masse am Boden übrig ist, in die sich kein Restchen Biomüll mehr verirrt. Heißt also: schaufeln und umlagern.

Dabei bin ich bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich ganz gut ausgekommen, OHNE direkten Kontakt mit den Würmern haben zu müssen. 👀 Nicht, dass ich sie nicht leiden kann… das nicht! Aber, sagen wir mal so: Beim Anblick der wuseligen Dinger ist mir vielleicht doch das ein oder andere Mal ein Quietschen herausgerutscht. Ich bin nun mal ein Wahl-Stadtmensch… und konnte schon als Kind nicht viel mit den kleinen Waldbewohnern anfangen. Warum ausgerechnet ich nun trotzdem eine Wurmkiste habe?  Tja. Weil es – in meinen Augen – einfach eine sinnvolle Sache ist. Und weil es keinen Grund gibt, sich vor den windigen Tierchen zu fürchten.

Und tatsächlich: Auch bei mir wird es mit der Zeit immer besser. Die ersten Schaufeln, die ich aus der Wurmkiste heraus in einen bereitgestellten Kübel verfrachte, betrachte ich noch mit deutlich erkennbarem Argwohn. Doch schon nach der zweiten bin ich weniger skeptisch. Bloß keinen Wurm aus Versehen zerquetschen, lautet nun meine Devise. Ich staune darüber, wie zahlreich sich die Tiere vermehrt haben und bin begeistert, als im unteren Drittel tatsächlich dunkler, frischer Humus zu erkennen ist (nun ja, zumindest hoffe ich bis heute, dass das, was ich da geerntet habe, auch tatsächlich welcher ist 😇).

Ich schaufle meine Ausbeute in einen dritten Behälter und schütte die Würmer mitsamt der Erde und dem restlichen Biomüll vorsichtig in die Wurmkiste zurück. Nicht nur ich habe an diesem Tag wahrscheinlich eine echte Achterbahnfahrt der Gefühle durchlebt.

Einmal Kreislauf, immer Kreislauf

Ab jetzt kann der Zersetzungsprozess von vorne beginnen. Ich dünge meine Pflanzen, füttere meine Würmer, trockne ihre Erde mit Zeitungspapier, gebe Mineralien dazu – und bin begeistert. Über diese simple Idee, die in einer Stadtwohnung (oder schlicht ohne Garten) wirklich Sinn machen kann.

Lasst euch von dem Gedanken an die fremden Mitbewohner also nicht abschrecken. Die wollen wirklich nur Futter von euch. 😁 Und haltet im Verlauf der Zeit die Gebrauchsanweisung griffbereit. Denn die Suche danach hat mich in meinem Küchenchaos letztlich wahrscheinlich am meisten Nerven gekostet. Alles andere? Wird erklärt. Und falls nicht? Ist beobachten, abwarten und weitermachen angesagt. Oftmals erholt sich das Ökosystem mit wenigen Kniffs wieder selbst. Und das ist es doch, was letztlich wirklich fasziniert. Eine eigene kleine Kreislauf“wirtschaft“… und nie wieder Pflanzendünger, den ich kaufen muss. 🎉

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